Die fruchtbare Küste von São Miguel steht im reizvollen Kontrast zur Nachbarinsel Pico, auf der sich der gleichnamige Vulkan erhebt. Die Kirchen und Häuser von Ponta Delgada zeigen deutlich den portugiesischen Einfluss.

Foto: visitazores.org
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Regen fällt in den Vulkan. Langsam, als wäre er schwerelos, kaum hat er die Schachtöffnung der Algar do Carvão passiert. Hundert Höhenmeter geht es hier in die Vulkanhöhle hinein. Und dreht man sich auf den eng die Felswände in den Schacht hinunterführenden Stiegen um, blickt zurück zum immer kleiner werdenden Guckloch, scheint es am letzten Tag der Reise tatsächlich, als spürten die Regentropfen keine Erdanziehung mehr, schwebten einem beinahe wie gläserne Flocken entgegen - bis ein paar Kehren später die Blickverbindung nach draußen endgültig reißt und anstatt der Regentropfen die Echos ihres Aufprallens, ihres Aufplatzens den restlichen Abstieg an den Grund der Vulkanhöhle begleiten.

Vulkane

Ozeanische Inseln, so nennt die Fachsprache die Azoren, da sie, allesamt vulkanischen Ursprungs, nie zu einem Kontinent gehörten. Dafür liegen sie direkt am atlantischen Rücken und stellen mit dem Pico Alto nicht nur dessen höchste Erhebung dar, sondern mit seinen 2135 Metern über dem Meer auch den höchsten Gipfel Portugals. Die Spitze des auf der Insel Pico gelegenen Pico Alto aber ist am zweiten Reisetag nur aus dem Flugzeug zu sehen. Mit UFO-ähnlicher Wolken-Halskrause rund um den Vulkanriesen. An der Küstenstraße kümmert jedoch auch der fehlende Bergblick wenig. Stattdessen tauchen beim Blick auf den Atlantik jene Zahlen wieder auf, die einen hier gut 1500 Kilometer westlich des portugiesischen Festlands verorten, mit kaum mehr als weiteren 3500 Kilometern, die noch bis zur Küste Amerikas fehlen. Näher liegt auch Wien nicht. Begreifbarer aber werden derartige Entfernungen dadurch kaum.

Walheimat

Selbst die Fahrgeschwindigkeit des Busfahrers, der sich mit seinem langen, leeren Gefährt auf dem Flughafen noch wie ein Rallyepilot in die Kurven gezwängt hat, kommt einem beinahe gemächlich vor. Doch vermutlich liegt auch das am Meer, das keine Vergleiche, dafür umso mehr Geschichten kennt. Einer davon begegnet man im Walfangmuseum von Lajes, im Südwesten Picos. Zumindest dann, wenn man nicht nur die Boote, Seile und Harpunen der Walfänger in Augenschein nimmt, sondern auch den kleinen Vorführraum im Untergeschoß des Museums betritt. - Licht aus. Und kaum laufen die schwarz-weißen Bilder, befindet man sich in einer vor nicht allzu langer Zeit untergegangen Welt. Ein Walbeobachter auf dem Weg den Hang zu seinem Beobachtungsturm, der Vigia, hinauf, so beginnt der Film. Den ganzen Tag wird er hier verbringen, wie jeden Tag, wie jede Woche mit dem Fernglas aufs Meer schauen, und auf den Wal warten.

Gedreht wurde die kaum zwanzigminütige englische Dokumentation in den Siebzigerjahren, als sich für die Bewohner eines Ortes wie Lajes Walfang aufgrund veränderter Weltmarktpreise für Fischöl oder Elfenbein längst nicht mehr lohnte. Dennoch saßen die Walbeobachter, meist ältere Männer, noch bis in die Achtzigerjahre, als der Walfang in Portugal eingestellt wurde, weiter über Ortschaften wie Lajes und schauten aus ihren Vigias hinaus aufs Meer. Schauten und warteten, während die jüngeren Männer der Bootsbesatzungen in den Ortschaften zwar längst anderen Berufen nachgingen, doch noch immer jeden Tag auf die Bomba warteten, jene Rakete, mit der vom Beobachtungsposten "Wal in Sicht" gemeldet wurde.

Bis 1987 war das der Startschuss für die Walfänger, die Mestres, im Ort alles liegen und stehen zu lassen und aufs Meer hinauszurudern - in ihren kleinen Canoas, deren geringe Kieltiefe es erlaubte, dem Wal nah genug für einen ersten Stoß zu kommen, einem Wal, der, so lautete eine der Regeln im Codex der Mestres, nie kleiner sein durfte, als es das Boot war. Es sind nicht viele Worte, die der Film für seine Geschichte braucht. Und doch erzählt er am Ende, mit dem großen Tier im Schlepptau, das im Verkauf nichts mehr wert war, den Männern aber eine ganze Welt bedeutete, von einer ganz anderen Währung, vielleicht der einzigen, die gleichzeitig auch Rohstoff ist. Von Sehnsucht und Passion. In der das Meer sich selbst erzählt. Ohne jeden Vergleich.

Auf der Fahrt von Lajes nach Madalena, der kargen Hafenstadt Picos, von der aus es mit der Fähre nach Faial hinüber- gehen sollte, schien der Bus dann auch weit schneller. Bestimmt lag das am bald ablegenden Fährschiff, doch vielleicht auch daran, einen Eindruck mitgenommen zu haben, einen noch undeutlichen, vielleicht auch unheimlichen, doch einen, in dem das Meer nicht mehr nur unermessliche Projektionsfläche ist, sondern Momente lang auch fassbar: als Sehnsucht, der man nicht nur verträumt nachhängen darf, sondern die man immer wieder auch jagen soll.

Nein, antwortet Norberto nachmittags jenen, die es immer noch nicht glauben wollen, schon zum zweiten Mal, und deutet aufs offene Meer, heute könne man sich in den kleinen, starrrümpfigen Gummibooten auf keinen Fall weit genug hinauswagen, um tatsächlich Wale zu sehen. Ganz anders sei der Atlantik dort draußen als auf der kaum sechs Kilometer lagen Fährstrecke zwischen Madalena und Horta, dem Hafen der Insel Faial. Dennoch, ein Stück würde er mit jenen, die sich trauten, schon hinausfahren.

Hoffen und Bangen

Natürlich trauen sich alle, bekommen Schwimmwesten und tuckern im kleinen Motorboot beschwingt zum Hafen hinaus. Wenn schon nicht Wal, dann zumindest die See. Und wer weiß, mögen manche sich noch gedacht haben, vielleicht begegnet man ja doch einem Wal. Denn prompt fällt gleich darauf mindestens die Hälfte der Bootspassagiere auf einen Scherz Norbertos hinein, als er in Richtung einer felsigen Halbinsel deutet. Dort vorn, ja, genau dort, dort sehe er etwas. Während sich gleich darauf dieselben sogar noch um einiges blickloser nur noch an ihren Sitzen festhalten, da der Atlantik tatsächlich beginnt, eine ganz andere Architektur zu entwickeln.

Natürlich wendet Norberto nach einigen inzwischen blockhüttenhohen, doch immer noch unheimlich gleichmäßig sich aufbauenden Wellenkämmen. Dass man damit bei Weitem noch nicht in Walgegend gewesen sei, wollen manche dann vielleicht gerade im ruhigen Hafengewässer nicht gehört haben. Genauso wenig, wie ihnen im Hafen schließlich die lange Reihe blankgeputzter Rallyeautos aufgefallen zu sein scheint, sondern lediglich die unzähligen, aus allen Fremdenführern bekannten Bilder, mit denen fast alle Betonflächen im Hafen geschmückt sind. Denn jeder der hier anlegenden Segler sollte eine kleine Malerei im Hafen von Horta hinterlassen. Es bringe ihm, so heißt es, Glück draußen auf dem Meer. Dieses hier hinterlassene Bild, gleichsam als unsichtbarer Anker im wildesten Sturm.

Rallye am Kraterrand

Ein Bild vom Hafen in Horta aber hätte am nächsten Tag vielleicht auch an Land manchem geholfen - im Bus, der die Gruppe hinauf zum Caldeira, dem größten Vulkankrater auf Faial bringen sollte. Es war schon ziemlich weit oben auf dem Berg, die Straße längst zu schmal für ein Umdrehen oder Zurückschieben des Busses - als vor einer Kreuzung plötzlich abgesperrt war. Hier könne man, konnte der Polizist auch den Ungeduldigsten nicht helfen, nun zumindest für eine Zeit lang tatsächlich nicht weiter, da jeden Augenblick der erste der Rallyefahrer auftauchen und vor der Absperrung um die Kurve biegen würde. Und so war es auch, Auspuffknattern, Erde, Steine wirbelten auf, schon war der erste Wagen vorbei. Der beste Aussichtsplatz für dieses Schauspiel war eine Wiese oberhalb der Kreuzung. Doch nicht nur dafür. Denn nachdem es den Vormittag über noch grau und neblig gewesen war, begann der in immer kräftigeren Böen daherkommende Wind plötzlich erste blaue Breschen in die Nebeldecke zu schlagen.

Wie Gänsehaut überzogen die ersten Lichtstrahlen in der Ferne die Wasseroberfläche dann so silbrig, dass es einen zu der dem Wind ausgesetztesten Stelle am Wiesenhang hintrieb - so, als müsste jede einzelne Windböe im Rücken erst bekräftigen, welche Zauberei man hier erlebte, da die Sonne mit jeder Windböe Hänge, Wiesen und Meer immer farbtiefer in ihre Grün- und Blautöne zurückversetzte. Und schön, das ist dabei tatsächlich nur ein halbes Wort. Zum anderen Teil müsste es wohl auch unheimlich heißen, da einen in solchen Augenblicken etwas erfasst, etwas, von dem man nichts weiß, außer dass es magnetisch an einem zieht. Und dass es nur das eigene Nein ist, das einen hindern kann, sich irgendwann in so einen Ausblick fallen zu lassen. Wie einer der Regentropfen, die am letzten Reisetag in den Algar do Carvão fielen. In eine Welt unter Tag. (Martin Prinz/Der Standard/Rondo/ 17.11.2006)