Vor allem im Fünf- und Sechssternebereich sollen neue Hotels entstehen. Manche befürchten, dass der Meeresblick auf den Seychellen damit fast unerschwinglich werden und die Mittelschicht der Urlauber ausbleiben könnte. Den einheimischen Strandbewohnern ist das vorerst einmal egal.

Foto: Seychelles Tourist Office
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Rund 20 Meter, bevor das Boot die Küste erreicht, erteilt der Steuermann das Kommando: "Achtung, festhalten!" Er sagt es eher beiläufig, routiniert. Er weiß, was jetzt kommt: Die zehn Passagiere sind alarmiert. Sie schauen nach vor, zurück, dann wieder nach vor, schließlich einander fragend an: Was meint der Mann?

Das Meer wechselt seine Farben synchron zum Spiel zwischen Sonne und Wolken. Von sanftem Flaschengrün über makelloses Türkis bis zu klassischem Königsblau reizt es die ganze Palette seines Spektralkönnens aus. 29 Grad ist es warm und heute sogar ausgesprochen ruhig. Der Jüngling am Steuer deutet nach unten: "Hände auf die Bank." Fröhlich überspielte Unruhe macht sich unter den Insassen breit. Der Franzose, Typ "ausgelassen aufdringlicher Zwangsgenießer", hält sich lachend an der ihm unbekannten Sitznachbarin fest. Sie kichert, verdreht die Augen genervt. Schon unterbricht der aufheulende Motor jäh die Späße des Witzboldes. Mit Vollgas geht es auf den Strand zu, Lachen vermischt sich mit Kreischen.

Rasante Erneuerung

"Demnächst auf den Seychellen", verspricht ein Prospekt der Tourismusbehörde Aussicht auf nahe Veränderung. Lange Zeit hätte ein solcher Titel wenig interessiert. Was wird schon passieren? Großes Sandkörnerzählen? Traditionelle Schildkrötenwaschung? Landkrabbenweitwurf? In der Vergangenheit hätte man so gedacht, nicht so heute. Heute befinden sich die Seychellen auf dem Weg in die Neuzeit. Denn ähnlich rasant wie die Landung des Touristenbootes auf der Vogelinsel Cousin vonstatten ging, erneuern sich gegenwärtig viele der 115 Inseln des Archipels im Indopazifik.

"Früher war hier Sozialismus", sagt Brad, Manager im Coco-de-Mer, einem Viersternehotel auf Praslin, der zweitgrößten Insel der Seychellen, mit dem Flugzeug eine Viertelstunde vom zentralen Ausgangspunkt Mahé entfernt. Jede einzelne Obstlieferung musste man bis vor Kurzem über die Regierung ordern, das sei jetzt leichter. Den frischen Wind nutzte auch er: Erst kürzlich baute er die Zimmer um, ließ schmucke Badewannen einbauen. Die Seychellen befinden sich im Umbruch.

Zu behaupten, das Paradies sei in Gefahr, wäre dabei eindeutig übertrieben. Wie die Seychellen jetzt sind - menschenleere Strände, die sich in unverbauter Pracht und unglaublicher Vielfalt aneinanderreihen, ob auf Mahé, Praslin oder den vielen kleinen anderen Schwestern -, das wird es so unberührt möglicherweise nicht mehr sehr lange geben.

Im April 2004 löste James Alix Michel den Langzeitpräsidenten France-Albert René ab. Der Neue hat große Pläne. Er will, ja muss den Tourismus ankurbeln, eine hohe Auslandsverschuldung zwingt ihn dazu. Die Seychellois genießen außerdem ein überaus dichtes soziales Netz, das erst einmal finanziert werden muss. Zudem treibt der Schwarzmarkt wilde Blüten. Die Bank zahlt für einen Euro rund sieben Seychellen-Rupien, bis zu zehn geben die Einheimischen. Das ist zwar verboten, sehr streng bestraft wird es aber nicht.

Großprojekt Tourismus

Das Geschäft mit den Rupien geht ohnedies schlecht, inzwischen nehmen sogar Restaurants lieber Kreditkarten als heimisches Geld. Wer unter Naturschutz stehende Inseln wie Cousin oder Curieuse besuchen oder in den zahlreichen Marineparks schnorcheln will, zahlt zwischen zehn und dreißig Euro Steuer - und zwar nur Euro: Auch die Regierung setzt auf die harte Währung und beschleunigt so den Identitätsverlust. Der Präsident rief Handlungsbedarf aus und erklärte den Tourismus zum Zukunftsmarkt.

Ein Großprojekt nach dem anderen wird hochgezogen. Sie alle folgen einem Konzept sanften Ökotourismus. In ihrer Architektur und mit ihren Materialien fügen sie sich perfekt in die Landschaft ein, sodass eigentlich niemand die nahende Veränderung fürchten müsste.

Seit Mitte 2006 verwöhnt das Maia Resort an der Anse Louis auf Mahé in 30 Villen seine Gäste. Das Northolme war einst das älteste Hotel auf Mahé. Davon übrig geblieben ist "angeblich eine Wand", sagt Roman Kopacek, der österreichische Manager des 40-Villen-Anwesens. 34 Kilometer nordwestlich davon steht auf Silhouette das Labrize vor der Eröffnung. Vorbei sind die Zeiten, als man auf Round Island bei Gaby noch den köstlichsten Thunfisch der Welt vom Grill holte: Ab Mitte 2007 bevölkern die Gäste der zehn Chalets des "Round Island Resort" das Kleinod mitten im St. Anne Marine Park: "Jede Einheit bietet Außendusche, Privatpool, Pavillon und privaten Zugang zum Strand", informiert das Prospekt.

180 Suiten, 61 Villas und eine Präsidentensuite entstehen unterdessen auf Mahés Port Launay, natürlich mit "komplettem Spa-Dorf, fünf Restaurants, Bars, Sport- wie Tennisclub und Konferenzzentrum". Gigantisch sind die Ausmaße von "Eden Island": Private können bei Mahé auf einer Fläche von 40 Hektar eines von 450 Reihenhäuschen samt Bootsanlegeplatz kaufen.

Für große und kleinere Geldbörsen

"Die Mittelschicht bleibt auf der Strecke", klagt indes Glenn Kinder, australischer Manager der Indian Ocean Lodge auf Praslin. Kinder fürchtet um die richtige Mischung an Gästen, weil nur Fünf- oder gar Sechssternehotels entstehen sollen. Er bietet sie: Sein Dreisternehaus stellt die stilsichere Variante eines erschwinglichen Traumurlaubs mit Meeresblick dar. Eine Küche wie die seine wird man im Umkreis nicht finden: Als Kinder das Sechssterneetablissement Denis Island verließ, nahm er die Köche einfach mit. Anders als die meisten Hotels bezieht Kinder Obst und Gemüse nicht aus aller Welt, sondern über Einheimische in den Bergen.

Dass die Hochpreisdestination Seychellen übrigens auch in Zukunft für kleinere (wenn auch nicht ganz kleine Geldbörsen) geeignet ist, beweisen dutzende andere Anlagen. Sie nennen sich in noblem Understatement "Gästehäuser". Unterkünfte wie das "Anse Soleil Beachcomber" (an einem der schönsten Strände Mahés), die Selbstversorgerbungalows der "Villa d'Or'" auf Praslins (mit Meeresblick auf die kilometerlange Côte d'Or) oder das "Patatran" (mit atemberaubendem Tiefblick auf die Anse Patate) auf La Digue, um nur einige wenige zu nennen, werden den sanften Übergang in die neuen Zeiten auch in Zukunft gewährleisten.

Die Natur verändert sich

Falls die Natur mitspielt. "Alles ist in Unordnung geraten", sagt Desmond. "Die Gezeiten sind stärker, die Flut ist höher." Desmond chauffiert für den Ausflugsveranstalter Creole Travel Services Touristen. Die Natur war zuletzt launisch gegenüber den Seychellen. Zwei Stunden, nachdem der Tsunami 2004 Sumatra erreichte, verkrochen sich die Riesenschildkröten ins Landesinnere ihrer geschützten Reservate. Fünf Stunden später suchte die Welle die Côte d'Or auf Praslins heim. Desmond: "Ich wusste davon als Einziger aus den Nachrichten. Die Menschen liefen zum Meer und suchten das Wasser." Es kam, wenn auch nicht mit jener Wucht, forderte zwei Menschenleben.

Seither verändere sich die Natur. Ungewöhnlich lange Regenperioden gab es etwa im sonst trockenen und heißen September. Der Takamaka-Baum, eines der Wahrzeichen, leidet an einer mysteriösen Krankheit. Ein Insekt sorgt dafür, dass der stolze Baum seine Blätter verliert. Schicksal der Seychellen: Selbst entlaubt wirken die skelettartigen Riesen im weißen Sand malerisch.

Die Landung auf Cousin ist inzwischen geglückt. Mit Schwung flitzt das Boot den Strand entlang und bleibt mit einem heftigen Ruck stehen. Die Passagiere steigen aus, sie treten in den warmen Sand, lachen erleichtert und spüren noch ein wenig ihren weichen Knien nach.

Sie erinnern sich an den letzten Tauchgang mit den bunten Fischen, an den riesigen Napoleonfisch, die Meeresschildkröte vor Coco Island oder den Adlerrochen an der Anse Lazio. Sie denken vielleicht an die einzigartige Doppelkokosnuss Coco de Mer im Vallée de Mai.

Vor ihnen warten mehr als 250.000 Vögel, darunter seltene, prächtige Arten wie der Magpie Robin oder die Seychellen-Seeschwalbe. Moorhuhnfamilien werden unbeschwert umherstreunen, so als seien die staunenden Touristen gar nicht da. Weißschwanzmöwen werden wie eh und je ihre frisch geschlüpften Küken versorgen. Wenn auch im Moment viel passiert auf den Seychellen: Manche Dinge haben Bestand. (Doris Priesching/Der Standard/Rondo/17.11.2006)