Hügeln großer Nachfrage: Im Spätherbst kann man die Weinbauern aus der Reserve locken.

Foto: ENIT / Vito Arcomano
Es ist nur eine von unzähligen mittelalterlichen Burgen der Region und trotzdem etwas ganz besonderes: das Castello di Querceto im toskanischen Chianti Classico. Regionale und exotische Flora - neben Himbeeren und Weintrauben gedeihen Lotusblumen und Kiwis - vereinen sich in seinem märchenhaften Garten. Eine Erweiterung ist geplant, doch vorher muss der geschichtsträchtige Boden von Archäologen untersucht werden. Bereits die Etrusker ließen sich an jenem dicht bewaldeten Hügel nieder. Als steinernen Zeugen dieser Epoche kann man bis heute zwischen Gewächsen einen unscheinbaren, moosüberwachsenen Wassertrog entdecken.

Einfache Reserven

Der eigentliche Schatz befindet sich aber unter dem Castello, auf dem seit mehr als 100 Jahren Weinbau betrieben wird. Im alten Weinkeller können neben Barriquefässern auch Jahrgänge begutachtet werden, die bis ins Jahr 1904 zurückreichen. Besonders stolz ist Marco Tenerini, der Verkaufsleiter am Gut, aber auf die gegenwärtigen Erzeugnisse. Der "einfache" Riserva für angenehme ? 15 ab Hof ist in Rankings regelmäßig auf den vorderen Plätzen zu finden, inmitten der teuersten Weine der Welt.

Das Castello befindet sich in der Nähe des Ortes Greve in Chianti, am östlichen Rand des historischen Zentrums des Chianti-Anbaugebietes. Diese Kernregion, die lediglich neun Gemeinden umfasst und als Chianti Classico bezeichnet wird, erstreckt sich zwischen den rund 60 km voneinander entfernten Städten Florenz und Siena. Zwei Drittel dieser äußerst hügeligen Gegend sind bewaldet, was sich in einer üppigen Fauna widerspiegelt. Mit etwas Glück und Geduld sieht man neben Eidechsen und Schlangen auch Rehe, Wildschweine oder Hasen. Es gilt als allgemein bekannt, dass auf besagten Hügeln Wein von hoher Qualität produziert wird. Das Klima mit seinen heißen und trockenen Sommern und die mineralischen Böden eignen sich ideal für den Anbau von Sangiovese, der vorherrschenden Rebsorte.

Auf der kurvigen Fahrt durch die renommierte Region wird dem einen oder anderen Weinkenner bereits aufgefallen sein, dass die Weingärten häufig nicht allzu akribisch gepflegt werden. Dichtes Unkraut zwischen den einzelnen Rebzeilen sowie wuchernde Reben lassen vermuten, dass hier Perfektionismus nicht immer an erster Stelle steht. Selbst wenn so mancher dem nicht zur Gänze ausgenützten Potenzial nachtrauert, gebührt den Ergebnissen zweifelsohne Respekt.

Die beiden Hauptweine des Gebiets sind der fruchtige "Chianti Classico" und der länger gereifte "Chianti Classico Riserva". Zumindest 24 Monate muss der Riserva gelagert werden, wobei mindestens drei Monate davon auf die Verfeinerung in der Flasche verwendet werden. Beide Weine müssen zumindest aus 80% Sangiovese bestehen.

Danach kräht ein Hahn

Lange Zeit war ein strenger Sortenspiegel vorgeschrieben, der beispielsweise die Beigabe von weißen Trauben zwingend vorschrieb. Das gehört heute zum Glück der Vergangenheit an. Mittlerweile dürfen auch nicht heimische Rebsorten, wie etwa Merlot oder Cabernet Sauvignon, beigemengt werden. Manchmal bestehen die Weine zur Gänze aus Sangiovese, auch das war bis weit in die 1980er-Jahre verboten. Das berühmte Kennzeichen der Chianti-Classico-Weine ist der Schwarze Hahn ("Gallo Nero") am Flaschenhals. Es werden im Chianti Classico aber auch Weine gekeltert, die das Qualitätsmerkmal des "Gallo Nero" nicht aufweisen. Das bedeutet keineswegs, dass diese Weine automatisch minderwertiger sein müssen.

Eigene Weingüterwege

Wenn man den Wein dieser Region vor Ort entdecken möchte, hat man im Grunde zwei Möglichkeiten. Entweder man bucht in der Touristeninformation der jeweiligen Gemeinden wahnwitzig teure Touren durch bestimmte Weingüter (Transport hin und retour nicht inbegriffen), oder man versucht es auf eigene Faust. In jedem Fall sollte man mobil sein, denn die Weingüter sind weit verstreut. Das öffentliche Busnetz ist dabei nicht sonderlich hilfreich.

Wer keinen Chauffeur hat und in den hundertprozentigen Genuss der Weine kommen möchte, hat häufig in diversen Enotecas der Gemeinden die Möglichkeit zur Verkostung. Im Zentrum von Greve in Chianti kann man sich beispielsweise in der "Le Cantine" selbst bedienen: Mittels vorher aufgebuchter Chipkarte wird das Probierglas am Schankautomaten gefüllt. Immerhin 140 Weine stehen zur Auswahl, auch wenn nicht alle aus dem Chianti Classico stammen. Das nicht aufgebrauchte Guthaben wird am Ende zurückerstattet.

Wer nicht selbst fahren muss oder wem es nichts ausmacht, den Wein lediglich im Mund wirken zu lassen um ihn anschließend wieder auszuspucken, sollte jedenfalls die Weingüter direkt aufsuchen. Zumeist wird man professionell und freundlich empfangen, häufig auch während der Siesta. Auf die Frage, bis wann man vorbeikommen darf, antwortet Andrea Sommaruga, der Besitzer des kleinen Weinguts Panzanello nahe dem Ort Panzano: "Ich wohne hier. Leute kommen manchmal auch um 21 Uhr, um den Wein zu verkosten."

Obwohl das Gebiet in den letzten Jahrzehnten zu einem beliebten Tourismusziel geworden ist, hat es sich eine wohltuende Einfachheit bewahrt. Kitschige Souvenirstände sucht man im Chianti Classico vergeblich. Dennoch ist die Region touristisch stark erschlossen, sodass man spielend ohne Italienischkenntnisse durchkommt. Nicht selten stößt man auf Menschen, die sich im Chianti niedergelassen haben und aufgrund ihrer Fremdsprachenkenntnisse im Tourismussektor beschäftigt sind.

Exil im Keller

Eine solche Immigrantin ist die in England gebürtige Julia Harrington. In der Villa Sant'Andrea führt Julia durch den Keller und hält die anschließende Verkostung ab. Je nach Bedarf hält sie die Führungen auf italienisch, englisch oder französisch und beantwortet Fragen offen und fundiert. Dies tut besonders dann wohl, wenn man zuvor den Fehler gemacht hat, in einer Touristeninformation eine der bereits erwähnten Führungen zu buchen.

Nicht weniger als 18 ? legt man dort für eine Verkaufsveranstaltung am Castello di Verrazzano ab. Wenn man noch 24 ? drauflegt, bekommt man auch etwas Käse und Schinken. Der "Entertainer", der die Verkostung samt kurzer Führung durch den Keller abhält, überhört Fragen gekonnt und preist mittelmäßigen Wein zu hohen Preisen als "very average" an. Also hinfahren und sich auf den eigenen Geschmack verlassen! (Stephan Burianek/Der Standard/Printausgabe/18./19. 11. 2006)