"Plagiate, wohin man blickt: Wem oder was ist noch zu trauen?" - Ein Hang zum Kulturpessimismus ist dem Salzburger Medienwissenschafter Stefan Weber nicht abzusprechen. Netzplagiate gefährden Ausbildung und Wissen, wie er im Untertitel seines neuen, morgen, Mittwoch, erscheinenden Buches suggeriert. Und das von ihm postulierte "Google-Copy-Paste-Syndrom" hat schon weit um sich gegriffen, in Schule, Universitäten - wo Weber in den vergangenen Jahren zahlreiche Plagiatsfälle aufgedeckt hat - und Wissenschaft, bis zum Journalismus. Die Folge: "Wir befinden uns bereits in einer Textkultur ohne Hirn".

"Copy" und "Paste"

Internet, Suchmaschinen wie "Google" und die zunehmende Digitalisierung auch älterer Texte und Bücher machen es immer leichter, mit den Computer-Befehlen "Copy" und "Paste" fremde Texte und Textteile zu kopieren und ohne Quellenhinweis als eigene geistige Arbeit auszugeben. Wo das im breiten Stil angewendet hinführen würde, skizziert Weber so: "Eine vollständige Recycling-Textkultur ohne Hirn würde den intellektuellen Stillstand bedeuten: das ewige Re-Make des schon Existierenden." Doch noch gebe es "Content-Produzenten", die ihr Hirn noch einschalten und "den Rohstoff für die Plagiatoren liefern".

Aber Weber sieht auf Grund zahlreicher Umfrageergebnissen in den USA und Europa "erste Indikatoren für ein Problem von mutmaßlich gigantischer Dimension": Die verschiedenen Umfragen würden darauf hinweisen, dass "mindestens jeder dritte Studierende schon zumindest einmal in irgendeiner Form plagiiert hat" und auch 1,5 Prozent der Wissenschafter "Ideendiebe" seien.

Leitung

Ein Grundübel ortet Weber in der "Ergoogelung der Wirklichkeit". So glaubt der Medienwissenschafter, dass weit über 90 Prozent aller Recherchen für akademische schriftliche Arbeiten und Referate mit "Google" starten, was nicht das Problem wäre: Problematisch sei vielmehr, dass "eine unbekannte Anzahl von Studierenden mit der 'Google'-Recherche ihre Recherchetätigkeit insgesamt bereits wieder abschließen" und viele sich dazu verleiten lassen, die gefundenen Textsegmente gleich direkt eins zu eins und unzitiert in ihre Arbeit zu übernehmen.

Permanente Stichwortsuche bei Google könnte nach Ansicht Webers aber noch viel weit reichendere Folgen haben: eine Abnahme der Lesekompetenz, v.a. was das inhaltliche Erfassen längerer Textabschnitte betrifft. "Für das Leseverhalten könnte dies bedeuten, dass das sinnerfassende Lesen längerer Texte von einem mentalen Einscannen von Schnipseln abgelöst wird", so Weber.

"Kognitive Entlastung"

"Ernsthafte Probleme" gibt es nach Ansicht Webers aber nicht nur an den Unis, sondern auch im Journalismus, "mit der zunehmenden Intransparenz der Quellen bei Texten und Bildern, mit der sukzessiven Ersetzung des Recherchierens und Schreibens durch Content Management (inklusive permanentes Copy/Paste von Texten, sehr oft ohne Quellenreferenz)". Und auch dem Schüler würden Webseiten wie http://www.referate.de "zahllose Möglichkeiten der kognitiven Entlastung" bieten, wobei dabei vielfach Plagiate plagiiert würden.

Weber listet 18 Gründe auf, warum Copy/Paste und Textplagiate zu "neuen Kulturtechniken" avanciert sind, etwa abnehmende Lesekompetenz der Schüler, die omnipräsente Ablenkung durch Neue Medien, die Blindheit zahlreicher Lehrer für die fortgeschrittenen technischen (Betrugs-)Kompetenzen ihrer Schüler, fehlende Einführungen in wissenschaftliche Arbeitstechniken an Unis, Betreuungsinkompetenz bei Lehrenden, teilweise Faulheit und Dummheit der Studierenden, etc.

Kulturpessimistische Stimmung

Und weil es zur kulturpessimistischen Stimmung des Buches so schön dazupasst, spart Weber auch nicht mit Kritik an den Neuen Medien, die mit dem Google-Copy-Paste-Syndrom einen "besonders bedrohlichen Auswuchs" hervorgebracht und auch "unsere Lebensqualität in vielen Bereichen verschlechtert" hätten.

Doch der Medienwissenschafter hat noch Hoffnung, so lautet zumindest der Titel des letzten, einseitigen Kapitels: "Informationsdiäten" und "netzfreie Zeiten" wie früher autofreie Tage wären ein "Weg zur Besserung", die Ausbildung in klassischen Kulturtechniken ein anderer. (Von Christian Müller/APA)