Berlin - In der offiziellen DDR-Hierarchie der "verdienten antifaschistischen WiderstandskämpferInnen" stand Ruth Werner als "Kundschafterin" für die Sowjetunion ganz oben. 1977 hatte sie in ihrem autobiografischen Buch "Sonjas Rapport" erstmals über ihre langjährige Spionagearbeit für den KGB in den 30er und 40er Jahren geschrieben. Am Freitag ist die kommunistische Autorin, die bereits in den 50er Jahren mit der Autobiografie "Ein ungewöhnliches Mädchen" auf sich aufmerksam machte, im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben. I Am 15. Mai 1907 in Berlin als Ursula Kuczyinski geboren, erlernte Werner zunächst den Beruf einer Buchhändlerin und trat 1926 der Kommunistischen Partei bei. Werner, die sich von 1930 bis 1950 in China, der Sowjetunion, der Schweiz und England aufhielt, war über die Bekanntschaft mit dem deutschen Kommunisten Richard Sorge, einem der legendären sowjetischen Geheimdienstagenten im Fernen Osten, für den KGB angeworben worden. Sorge, den die Japaner 1944 hinrichteten, hatte Stalin 1941 unter anderem über den bevorstehenden Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion unterrichtet. Informationsdienste für die "Gruppe Ramsey" übernahm auch Werner, die nach einer Spezialausbildung in der Sowjetunion den Decknamen Sonja trug. Das Gift der Macht Mit der regelmäßigen Schriftstellerei begann Werner erst in den 50er Jahren nach der Rückkehr aus der Emigration von England in die DDR. Seit der Wende lebte sie zurückgezogen. In einer öffentlichen Rede sagte sie 1989 vor 150.000 SED-Genossen, sie habe Freunde zuletzt davor gewarnt, in den Parteiapparat zu gehen. Sie liefen dabei Gefahr, Magengeschwüre zu bekommen, "oder du brichst dir den Hals oder du verfällst dem Gift der Macht". "Antifaschistische Spionage" Wenn sie mit ihrer Arbeit den "Krieg auch nur um eine Viertelstunde verkürzt hat, rettete sie damit hunderte Menschenleben". Mit dieser Feststellung stellte sich das ostdeutsche PEN-Zentrum hinter die Autorin. Die Kommission, die sich mit den Stasi-Spitzeldiensten einzelner Mitglieder befasste, kam zu der Überzeugung, die "antifaschistische Spionage" von Werner sei kein Diskussionsthema. "Sonjas Rapport" war knapp 20 Jahre früher bereits die Autobiografie "Ein ungewöhnliches Mädchen" vorausgegangen. Geschildert wird darin der Werdegang eines Mädchens aus einer gutbürgerlichen jüdischen Gelehrtenfamilie, das in die Kommunistische Partei eintritt und mit ihrem Mann, einem humanistischen Intellektuellen, der ihre politische Arbeit nicht versteht, nach China geht. Werners Roman über die im Konzentrationslager umgekommene Widerstandskämpferin Olga Benario (1908-1942) "Olga Benario. Die Geschichte eines tapferen Lebens" galt zeitweise als Pflichtliteratur in ostdeutschen Schulen. (APA)