Textilfasern lassen sich anpassen. Mit Biologie-, Medizin- und Sportinstituten wird an Materialien für Sport- und Freizeitbekleidung und den Gesundheits- und Pflegebereich geforscht.

Foto: DER STANDARD/Uni Innsbruck
Kleidung mit integrierten Computern ist trendig. Intelligenz muss aber hier nicht durch Elektronik entstehen, sondern kann in den Textilfasern selbst verborgen sein. Forschungsbeispiele aus Österreich: Ein Doppler-Labor arbeitet mit Zellstoff, in Niederösterreich wurde ein Call für Textil-Entwickler ausgeschrieben.

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Die Strumpfhose schützt vor Orangenhaut, Koffein in den Socken belebt. Die Snowboard-Jacke telefoniert oder ist Soundmaschine. Das sportliche Top misst Puls- und Herzfrequenz, Leuchtdioden im Sweater lassen Herzen aufblinken. Fotonische Kleidung, elektrisch leitfähige Stoffbahnen, Bluetooth-Technologie im textilen Stück - Kleidung als "wearable computer". Spätestens bei der Entsorgung zeigt sich die Crux dieser "intelligenten" Produkte - wohin mit dem textilen Spielzeug, in die Altkleidersammlung, zum Elektronikschrott oder auf den Sondermüll?

Thomas Bechtold, Leiter des Instituts für Textilchemie und Textilphysik der Universität Innsbruck in Dornbirn, sieht die Zukunft der Textilforschung nicht in der "Überelektronifizierung der Textilien". Der Chemiker setzt auf natürliche Intelligenz. Seine Strategie: "Ein Produkt soll intelligent sein, aber nicht zu komplex in der Gesamtkonstruktion."

Es soll die Bedürfnisse des Nutzers erfüllen und seine Funktionen. Bechtold: "Ich schaue die Grundeigenschaft eines Kleidungsstückes an, packe sie optimal in ein Produkt." Der Wissenschafter denkt ganzheitlich: Woher kommen die Ressourcen, wie lassen sie sich verarbeiten, wie lässt sich das Produkt nutzen, pflegen, entsorgen?

Der ideale Rohstoff für intelligente Textilien ist für Bechtold Zellstoff, gewonnen aus Holz oder im Fachbegriff "Cellulosische Fasern". Mit einem kleinen internationalen Team erforscht er im Dornbirner Christian-Doppler-Labor die Chemie dieser Fasern. Modifikation, Struktur, Pflege- und Trageeigenschaften der Cellulosischen Fasern sind die Schwerpunktthemen, aber auch die Wechselwirkung zwischen Haut und textiler Struktur. Als Partner der Lenzing AG, dem weltweit größten Hersteller von Cellulose-Fasern, dem Verbandsriesen Rauscher und der Vorarlberger Textilwirtschaft "haben wir den Vorteil, dass wir die industrielle Umsetzung begleiten können" (Bechtold).

Bekannt sind Cellulose-Fasern als Lyocell, Modal oder Viskose. Zum Einsatz kommen sie "überall, wo man auch Baumwolle finden könnte". Der Vorteil gegenüber Baumwolle: Zellstoff ist ein heimischer Rohstoff, wächst nicht wie Baumwolle "auf Flächen, die man für die Nahrungsmittelproduktion brauchen könnte". Das größte Plus der Cellulosefasern ist "ihr Potenzial an Vielfalt". Bechtold: "Bei klassischen Chemiefasern kann ich den Durchmesser verändern, die Farbe, ein bisschen die Oberfläche. Dann ist es aus." Cellulosefasern könne man hingegen "regelrecht gestalten". - Die Fasern lassen sich, ganz der späteren Nutzung entsprechend, anpassen. Intensiv und interdisziplinär - mit Biologie-, Medizin- und Sportinstituten - wird an Materialien für Sport- und Freizeitbekleidung und den Gesundheits- und Pflegebereich geforscht.

Die Ansprüche an intelligente Sportbekleidung sind hoch. Bechtold erklärt am Beispiel Langlaufoutfit: "Sportbekleidung soll die Form halten, aber keinen Widerstand bieten. Die innere Reibung muss so niedrig wie möglich gehalten werden."

Gut riechen

Ein weiteres Bedürfnis von Freizeitsportlerinnen und -sportlern: Die Kleidung soll auch nach intensiver körperlicher Betätigung nicht unangenehm riechen. Gemeinsam mit Biologen werden Materialien entwickelt, die sich durch ihre Oberflächengestaltung mikrobiologisch neutral verhalten. Thomas Bechtold: "Das Kleidungsstück darf keine Auswirkungen auf die Mikrobiologie der Haut haben." Denn: "Geruchsentwicklung liegt nicht am Menschen, sondern am Einfluss des Kleidungsstückes."

Durch die Fähigkeit, Feuchtigkeit rasch zu transportieren, eignen sich Cellulosefasern besonders gut für Bettwaren. Während des Schlafes gibt der Körper rund 0,4 Liter Wasserstoff ab. Wird die Feuchtigkeit unter der Decke gestaut, sinkt die Schlafqualität.

Die Vorarlberger Textilfirma Hefel nutzt die absorbierenden Eigenschaften von Tencel (Lyocell) für Steppdecken und brachte eine ultraleichte Decke auf den Markt. Künftige Einsatzgebiete von Cellulose-Bettwaren sieht Thomas Bechtold auch im medizinischen Bereich.

Durch Bettwaren mit spezifisch für den Pflegebereich gestalteten Oberflächen könnten Hautirritationen und Wundliegen verhindert werden, wenn man die Fasern durch Veränderung der physikalischen Eigenschaften auf die jeweiligen Bedürfnisse adaptiere. "Wir müssen uns fragen, wollen wir eine glatte oder kernige Oberfläche, soll die Faser elastisch sein oder nicht."

Das System Bett

Bei der Entwicklung müsste das System Bett berücksichtigt werden, denn Decke oder Leintuch sind nur Teile einer komplexen Konstruktion. Es gehe bei jeder Entwicklung um ein Gesamtbild, um Bedürfnisse und Nutzen. "Intelligente Textilien erfüllen ihre Aufgaben", sagt der Forscher, "sie machen sich nicht lautstark bemerkbar."

"Intelligente Textilien werden uns in Zukunft verstärkt im täglichen Leben begleiten", ist Doris Agneter, Geschäftsführerin der Tecnet Capital, überzeugt. Um die Forschung und Entwicklung von Projekten zu unterstützen, startete die Technologiefinanzierungsgesellschaft des Landes Niederösterreich einen Wettbewerb.

Mit dem Aufruf (Call), Projekte zum Thema intelligente Textilien einzureichen, will man, so Wirtschafts-Landesrat Ernest Gabmann, "neue Impulse in der Textilindustrie setzen und Kooperationen ausbauen".

Beteiligen können sich Forscher und Unternehmen. Einsendeschluss ist am 31. März nächsten Jahres, Anmeldeformulare sind auf der TecnetWebsite abrufbar.

Die besten Projekte werden mit bis zu 200.000 Euro gefördert, außerdem gibt es Geldpreise zwischen 5000 und 15.000 Euro. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 13. Dezember 2006)