Wien - Im Konflikt um den Bau der Wiener Nordost-Umfahrung (S1) hat die Umweltorganisation Global 2000 Verkehrsplaner Reinhard Seiß mit einer Bewertung des Projektes betraut. Dessen Resümee: Der Bau der Umfahrungsstraße schädigt die Kernstadt Wien und bringt mehr Autoverkehr mit sich. Am Mittwoch präsentierte Seiß seine Analyse gemeinsam mit Global 2000-Verkehrsreferent Heinz Högelsberger.

Umweltschäden am Nationalpark Lobau, der von der S1 untertunnelt werden soll, seien nicht das einzige Dilemma des Projekts, so Seiß, der unter anderem Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung ist: "Es geht bei der S1 um mehr als 'nur' die Lobau." Wien stehe vor der Weichenstellung, die Kernstadt zu stärken, oder den umliegenden "Speckgürtel".

Bereits jetzt zeichne sich ab, dass der Speckgürtel autonom werde: Dessen Bewohner würden im Norden arbeiten, im Osten wohnen und im Süden einkaufen - ohne das dicht besiedelte Gebiet in der Mitte in Anspruch zu nehmen. Durch die verbesserte Verkehrsanbindung seien Wiener bereit, noch weiter entfernt im Grüngürtel zu siedeln. Wien konterkariere damit das eigene Ziel, eine Stadt der kurzen Wege zu schaffen. Und der Grüngürtel werde zu einem Grünbegleitstreifen der S1.

Zwar bringe eine Umfahrungsstraße kurzfristig eine Entlastung, mittelfristig aber eine Zunahme des Verkehrs. Auf diese Weise sei die Vision, den Anteil der Pkw am Gesamtverkehr zu reduzieren, "völlig illusorisch", befürchtete der Stadtplaner. Im Gegenteil, lege man mit der S1 langfristig zugleich den Grundstein für einen "dritten Wiener Umfahrungsring", der dann auf die A23 und die neue Nordost-Umfahrung als Teil des so genannten "Regionenrings" folgen müsse.

Die Gründe für das Handeln der Politiker seien die Angst vor der Autofahrerlobby und der "Futterneid" zwischen den einzelnen Bundesländern bezüglich des Verkehrsbudgets: "Die Koralmbahn auf die Straße umgelegt heißt S1", so Seiß. Notwendig sei stattdessen ein Festhalten an bestehenden Kapazitäten, damit die Autofahrer zum reflektierten Fahren und dem Umstieg auf die Öffentlichen Verkehrsmittel bewegt werden.

Högelsberger erneuerte deshalb seine Forderung an Bürgermeister Michael Häupl (S), mit den Umweltorganisationen in den Dialog zu treten. Die bisherige Gesprächsverweigerung zeuge von einem eklatanten Argumentationsproblem auf Seiten der Politik. (APA)