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Dimitré Dinev sprach zwar schon in Bulgarien (auch) Deutsch, schrieb aber erst in Österreich in der neuen Sprache. "Das nötigt einen, genau zu sein und allen unnötigen Zierrat beiseite zu lassen."

Foto: APA/Newald

Zeit, die wahren Ursprünge des Dinev-Theaters herauszuarbeiten.

Wien – Autor Dimitré Dinevs Erstbegegnung mit den szenischen Künsten datiert zurück in jene von Regen verklebten Tage, als er, wie Millionen andere junge Bürger der Sozialistischen Volksrepublik Bulgarien, seinen Militärdienst antrat.

Wehrdienstleistende mussten zwei Jahre auf dem Altar der Vaterlandsliebe opfern – "man wurde", erzählt Dinev, "ans andere Ende des Landes versetzt, um nur ja nicht der Regung des Heimwehs nachgeben zu können." Dinev (38), der aus Plowdiw stammt, lernte somit neue Landstriche seiner schönen Heimat kennen – "Rhodopen" lautet der geheimnisvolle Name eines Gebirgszuges, der in Dinevs fulminantem Roman Engelszungen (2003) die Funktion eines Leit- und Sehnsuchtwortes ausübt.

Der kasernierte Rekrut Dinev wurde Mitte der 80er-Jahre mit folgenden, unumstößlichen Wahrheiten konfrontiert: Jeder Volksarmist hat zwei Jahre abzuleisten. Ihm stehen während dieser Frist 20 freie Tage zur Verfügung. Meldet er sich jedoch freiwillig zur Gestaltung eines Theaterabends, werden ihm drei weitere wehrfreie Tage ehrenhalber zuerkannt.

Dinev gesteht, der Verlockung erlegen zu sein. Er hatte in diesen Tagen längst (auf Bulgarisch) zu schreiben begonnen. Er verspürte, obwohl Absolvent des Bertolt-Brecht-Gymnasiums in Plowdiw, keine besondere Neigung zu den szenischen Künsten. Er dachte aber: "Ein Stück auf die Beine zu stellen – das kann doch keine Hexerei sein!"

Ihn fror in der ewig vom Regen durchweichten Uniform – Bulgariens tapfere Volksarmeeführer liebten nämlich, gleich nach dem Genossen Shivkov, ihrem Landesvater, den Regen, und sie wollten es nicht verabsäumen, ihren schutzbefohlenen Rekruten diese Liebe zu den Elementen gehörig einzuimpfen.

Urszene des Theaters

Dinev wählte eine, wie er meinte, "unverfängliche" französische Novelle zum Ausgangspunkt seiner noch jungen und ungewissen Karriere als Theaterschreiber.

Fünf Verdun- oder Somme-Veteranen, allesamt mit furchtbaren Wunden behaftet, liegen im Krankenzimmer eines Militärspitals. Derjenige, der dem Fenster zunächst untergebracht ist, schildert unsäglich Genussvolles: Eine schöne, junge Schwester spaziert jeden Morgen, zur festgesetzten Stunde, unter seinem Fenster auf und nieder. Er muss den Kameraden haarklein ihr Aussehen schildern – den Sitz ihrer Schwesterntracht, die Kräuselung ihrer schönen, vom Wind umtosten Nase.

Dann verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Mauerschauers rapide. Er beginnt zu delirieren. Am Tage seines Ablebens schildert er noch bitter, dass er die Schwester am Arm eines Offiziers gesichtet hätte – darauf stirbt er. Doch seltsam: Kaum rückt der nächste Lazarettgast an den Fensterplatz nach, muss er den Kameraden Verstörendes mitteilen: Es gebe außer einer grauen Feuermauer nicht das Geringste zu sehen! Dinev lächelt: Hier war ihm etwas gelungen – nicht wirklich sozialistisch im Gehalt, aber von bezwingender Wirkung. Ein Zimmer ohne Aussicht. Nun war zu hoffen, dass niemand daran politisch Anstoß nähme ...

"Mein erster Rezensent war naturgemäß der Politoffizier meiner Einheit", sagt Dinev. Dieser ließ sich im Schlafraum der Kompagnie das Dramolett von Dinevs Schauspieltruppe vorsetzen. Über der Darbietung verfiel dieses wackere Organ der Partei in tiefes Nachdenken. Schließlich äußerte er ungehalten: "Warum, in Drei Teufels Namen, fluchen diese Soldaten ununterbrochen? Kein Soldat, der seine Heimat aufrichtig liebt, gebraucht derart unflätige Wörter!"

Dinev sah den Erfolg seiner kaum noch begonnenen Dramatikerkarriere existenziell infrage gestellt. "Da half mir die Eingebung", erzählt der Bulgare, der 1990 nach Österreich floh und über das Lager Traiskirchen allmählich Land gewann – derart, dass er heute in der ersten Reihe der heimischen (!) Prosakünstler steht.

Dinev antwortete: "Jawohl, Herr Kommissar, diese Kerle fluchen ganz abscheulich! Aber es sind halt nur – Franzosen! Bourgeoise Franzosen fluchen unentwegt. Derartiges würde einem friedliebenden bulgarischen Volksarmisten gar nicht einfallen. Er hat nämlich keinen Grund zu fluchen!" Und der verdutzte Politoffizier – war zufrieden.

Nichts als Aufträge

So fand der Erfolgsautor Dinev unverhofft ins Reich der Muse Thalia. Kürzlich wurde seine Balkankriegsballade Haut und Himmel im Wiener Rabenhof-Theater uraufgeführt: eine rührend schöne Meditation über die Liebe an einem Ort, wo sie angeblich nicht hingehört – einem Leichenfeld voller Sprengminen. Seine Adaption des Daidalos-Ikaros-Mythos (Das Haus des Richters) wird im März 2007 für die erkrankte Andrea Breth von Niklaus Helbling am Akademietheater uraufgeführt. Und bereits für Herbst '07 liegt ein Stückauftrag des Wiener Volkstheaters vor. Seine Hausgötter? "Tschechow! Und Dostojewskij. Dessen Romane sind doch sehr 'szenisch' gedacht, nicht wahr?" Hier spricht der Philologe. Und nicht der Rekrut. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.12.2006)