Die jüdische Filmwoche in Wien, schon einige Zeit her, war kaum zwei Stunden alt, und schon musste man Sorgen um die österreichische Demokratie haben. Nicht etwaiger Randale wegen, das Problem liegt tiefer, und wird im Alltag von der Medienwalze der Parteien zugedeckt. Der Anlass des Unwohlseins war die Kinodokumentation "Das Land der Siedler", die sich mit den umstrittenen jüdischen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet beschäftigt.

Der Filmemacher Chaim Yavin präsentiert seit beinahe 40 Jahren den TV-Zusehern Israels die Nachrichten, und wie sich das für einen Journalisten gehört, hat er einen untadeligen Ruf als objektiver Makler der Neuigkeiten. Das heißt freilich nicht, dass Yavin keine Meinung hat, und weil er sie erarbeiten, diskutieren, formulieren und zeigen wollte, reiste er kreuz und quer durch Gaza und die Westbank, befragte Siedler, Soldaten, Palästinenser, Opfer auf beiden Seiten, Rabbis und Polizisten, Mütter und Waisen, Bürgermeister, Leute, die sich von Gott berufen fühlen und solche, die fürchten, er habe sie verlassen. Er filmte meist selber, hielt Auseinandersetzungen fest und das Leid von Menschen, die durch Israels Bomben oder Terroranschläge von Palästinensern ihre Familie verloren.

Die von vielen als illegal und von vielen als rechtmäßige Besitznahme ihres Landes verstandenen Siedlungen rühren direkt an das israelische Selbstverständnis. Yavin diskutierte nach dem Screening mit den Zusehern, schilderte das mühsame, aber lohnende Festhalten an der demokratischen Verfassung des israelischen Staates. Sie mache den großen Unterschied zu den Israel umgebenden arabischen Staaten aus.

"Wir haben im Kanal 2 insgesamt fünf Stunden von der Dokumentation gesendet." Die Sendungen lösten wütende Proteste aus. Denn Yavin hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg, dass die Gewalt nicht enden werde, so lange Israel das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat nicht anerkenne und die Siedlungen nicht aufgegeben werden. Der Schutzwall bringe zwar einen gewissen Schutz vor Attentaten, so Yavin, doch er wurde jenseits der "Green Line", der Grenze zwischen den israelischen Gebieten und dem Lebensraum der Palästinenser, errichtet und enteigne daher teilweise deren Gebiet.

Im Vergleich dazu ist die Diskussionskultur in Österreich inexistent. Der abtretende Parlamentspräsident Andreas Khol untersagte die Übertragung der Eurofighter-Diskussion im ORF. ÖVP und BZÖ waren gegen die Ausstrahlung, Khol entschied in deren Interesse und gegen das öffentliche. Nicht Willkür habe ihn dazu veranlasst, ließ Khol verlauten, sondern "langjährig geübte Praxis".

Österreichs politische Praxis lässt harte, aber demokratische Auseinandersetzung in vielen Fällen gar nicht erst aufkommen. Die Demokratie im Kopf vieler Regierungsmitglieder und in dem des Ex-Parlamentspräsidenten ist so schwammig formuliert, dass sie Journalisten öffentliche Funktionen anbieten, Pressesprecher für private Dienste an Freunden oder Verwandten zur Verfügung stellen, Aussagen vor dem U-Ausschuss mit Beamten absprechen wollen und das Parlament geringer schätzen als Parteieninteressen oder Geschäfte. Knapp vor dem Blackout über der Eurofighter-Debatte traten die Abgeordneten der 23. Legislaturperiode samt Präsident Khol ab. Knapp vorher gab er seiner großen Sorge Ausdruck. Nicht über die Demokratie-Verweigerung und die Vermischung von Privat und Staat, sondern über die Einrichtung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen.

Die Sozialpartnerschaft ist Geschichte, offenbar etabliert sich in Österreich gerade eine neue Form der Partnerschaft mit der Politik, die ähnlich unverschämt an den demokratisch gewählten Gremien vorbeiagiert, und das Wort "sozial" aus dem Vokabular gestrichen hat. (Johann Skocek / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.12.2006)