Sofia – Am Neujahrstag wird die Europäische Union nicht nur um zwei neue Mitgliedstaaten – Bulgarien und Rumänien – reicher und drei Amtssprachen – Rumänisch, Bulgarisch und das nun nachträglich dazukommende Irisch – sondern auch um ein Schriftsystem: das kyrillische Alphabet, mit dem das Bulgarische gemeinhin verschriftet ist. Damit gibt es unter den EU-Staaten drei geläufige Alphabete. Neben dem lateinischen war 1981 beim Beitritt Griechenlands das griechische dazugekommen.

Insgesamt benützen mehr als 200 Millionen Menschen das kyrillische Alphabet. Dessen Anfänge sind eng mit den von Byzanz im 9. Jahrhundert zu den Slawen ausgesandten Missionaren Kyrill (Konstantin) und Method verbunden. Die beiden später heilig gesprochenen Ordensmänner übersetzten liturgische Texte ins Altkirchenslawische. Ursprünglich für die Westslawen in Mitteleuropa vorgesehen, fand ihr Werk erst auf dem Balkan fruchtbaren Boden und wurde im damaligen bulgarischen Reich und schließlich bei den Südslawen allgemein angenommen.

Glagolitza

Die Mönche schufen zunächst eine Buchstabenschrift, die unter dem Namen Glagolitza bekannt ist. Das nach Kyrill benannte Kyrillische ersetzte dann letztlich die glagolitische Schrift. Das Kyrillische weist mehrere Ähnlichkeiten mit dem griechischen Alphabet auf. Laute, die im Griechischen nicht vorkamen, wurden mit Zeichen aus der Glagolitza wiedergegeben

Nach seiner Verbreitung auf der Balkan-Halbinsel trat das kyrillische Alphabet mit der Christianisierung Russlands seinen Weg weiter nach Osten an. Nach der Eroberung Südosteuropas durch die Osmanen strömten Gelehrte der Region mit ihren Büchern nach Russland. Heute wird das kyrillische Alphabet allein oder neben einem oder mehreren anderen Alphabeten in Bulgarien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Russland und mehreren Ländern des früheren Sowjetunion gebraucht – selbst wenn die betreffende Sprache gar nicht slawischen Ursprungs ist. Der Volksdichter der Bulgarischen Wiedergeburt, Iwan Wasow (1850-1921), formulierte es so: "Etwas haben wir der Welt gegeben/Allen Slawen das Bücherlesen."

Geteilt durch die Verwendung des kyrillischen und des lateinischen Alphabets – das traditionell bei den katholisch geprägten Westslawen in Verwendung ist – vereint die Slawen der "Feiertag der Buchstaben und des Schrifttums" am 24. Mai. In Bulgarien ist dies sogar ein mit Schüleraufmärschen begangener nationaler Feiertag.

Wenn auch der österreichische Slawist Otto Kronsteiner vor Jahren eine heftige Diskussion über den Fortbestand des kyrillischen Alphabets auslöste, mit Bulgarien an der Schwelle zur EU dürften Probleme bei der "Kyrillisierung" von mit dem Beitritt in Zusammenhang stehenden Rechnerprogrammen, Computersoftware und Handys gelöst und nicht mehr aktuell sein. Kenner loben das schlaue Layout der kyrillischen Tastatur, bei dem alle Vokale in den drei Reihen der linken Hand liegen.

Ein Problem hinsichtlich der Gestaltung der Cent-Münzen kündigt sich jedoch an, wenn Bulgarien in der Zukunft dem Euro beitritt. Die EU beharrt auf die Schreibweise "e-u-r-o", während der bulgarische Verwaltungsminister "e-w-r-o" sehen möchte, weil sich die Aussprache so eingebürgert hat. Die Griechen jedenfalls haben ihre sprachliche Eigenheit beim Wort "Euro" in ihrer Schrift durchgesetzt. (APA)