"Wenn Gusenbauer jetzt schon anfängt klein beizugeben, dann sehe ich schwarz. Wortwörtlich", sagt die politisch bewegte Bady Minck ("Elektrofrühstück" und "Elektrozelle"), die als Künstlerin und Filmemacherin in Wien und in Luxembourg lebt und arbeitet.
Porträt Bady Minck: Guy Wolff
Die Elektrozelle vor der Kunsthalle von aussen...
Foto: Christian Wachter / Kunsthalle Wien
...und von innen
Foto: Christian Wachter / Kunsthalle Wien
Foto von Mincks erstem Protestwerk gegen die Schweizer Flüchtlingspolitik (August 2006)
Foto: Bady Minck

Die Filmkünstlerin Bady Minck wirft einen Blick zurück auf sechs Jahre Schwarz-Blau-Orange und charakterisiert nicht ganz unernst die Figuren auf der politischen Bühne. Die sechsjährige Frustration auf politischer und finanzieller Ebene scheint den fröhlich-aufmüpfigen Geist der hart arbeitenden Filmemacherin und Produzentin eher geschürt zu haben.
Ein Interview von Kerstin Kellermann.

dieStandard.at: Seit den Wahlen gibt es wenig Zugang zur Politik der Regierung. Der öffentliche politische Raum ist einerseits komplett besetzt, andererseits seit Monaten total leer. Wie siehst du das als Künstlerin? Wie empfindest du die Stimmung, gibt es momentan eine Regierung oder gibt es keine?
Bady Minck: Ich befinde mich momentan ein bisschen außerhalb der Politik..., genauso wie die Regierung, die ist gerade auch ein bisschen außerhalb. Es gibt keine Regierung. Denn man kann überhaupt nichts tun. Alle sagen, na ja, diese Frage muss man liegen lassen, bis die Regierung da ist, und man hat keine AnsprechpartnerInnen, man muss eigentlich alles liegen lassen. Ein ganzes Land in Warteschleife.

dieStandard.at: Hast du auch das Gefühl, dass die Leute gar nicht so unzufrieden sind mit diesem Vakuumzustand der Macht? Was wollen wir eigentlich von oben?
Bady Minck: Also, wir KünstlerInnen sind nicht zufrieden, wir wollen was tun und müssen für unsere Rechte kämpfen. Aber die ÖVP genießt es natürlich, sie nutzt das aus, dass sie noch was zu sagen hat und Zeit gewinnt, um den Gusenbauer flach und weich zu klopfen. Anscheinend lässt sich der von dem Umstand nervös machen, dass die anderen sich zieren, und schenkt ihnen alle Ministerien. Wie kommt Gusenbauer dazu, überhaupt nur eine Minute daran zu denken, das Außen- und das Finanzministerium an die ÖVP zu geben? Das Ergebnis der Wahl und die Umfragen seither signalisieren doch, dass die Schüssel-Ära endlich vorbei ist. Nicht unbedingt die ÖVP, aber diese Konstellation der ÖVP ist eine Verlierer-Partei par excellence. Es ist sonnenklar, dass die Majorität den Schüssel nicht mehr wollte. Und der einzige, der das nicht merkt, ist der Schüssel selbst (lacht), aber zumindest sollte es der Gusenbauer gemerkt haben. Anscheinend hat den Gusenbauer jetzt aber jeder Kampfgeist verlassen, oder er ist so machtgeil, dass er alles tut und alles hergibt, um Kanzler zu werden, was ein schlechtes Zeichen wäre. Denn ein Kanzler muss extrem taktieren können. Das einzig Spannende am Schüssel war sein fast schon unanständiges Taktierergeschick – aber davon hat auch Bruno Kreisky gelebt, nicht? Sonst wäre er nie so lange an der Macht geblieben. Aber wenn Gusenbauer jetzt schon anfängt klein beizugeben, dann sehe ich schwarz. Wortwörtlich.

dieStandard.at: Im Jahre 2000, als die schwarz-blaue Regierung kam, da war ja eine ganz andere Stimmung...
Bady Minck: Extrem anders, da haben alle gedacht, es ginge sich noch aus, dass diese Regierungs-Koalition nicht passiert und plötzlich war sie da und dann waren alle gelähmt vom blauschwarzen Schlangengift. Vor Schreck. Denn damit hat damals ja wirklich keiner gerechnet.

dieStandard.at: Wie würdest du diese Zeit im Rückblick betrachten? Du hast damals dein künstlerisches Widerstandsprojekt "Elektrofrühstück" im Internet und die "Elektrozelle" in der Kunsthalle am Karlsplatz gemacht – was hat das gebracht? Wie ging das weiter in dem langen Zeitraum?
Bady Minck: Das war eine schlimme Zeit für Österreich. Aber alles Schreckliche hat auch seine guten Seiten, und eine war, dass sich endlich mal eine Protestbewegung unter den KünstlerInnen, den Youngstern und auch den Intellektuellen und kritischen Köpfen bildete. Das war wichtig. Aber dem Schüssel möchte ich nicht danken dafür (lacht). Und dass gewisse Machtkonstellationen abgesägt wurden, das war auch gut, aber dafür haben sich doppelt so schnell neue Machtkonstellationen einbetoniert. Die Schüssel-Schwarzen und die Blauen haben sich überall rein gesetzt, sogar dort, wo sie gar nicht das Recht hatten, sich klüngelmäßig rein zu setzen – und haben für Jahrzehnte noch Positionen besetzt und eingefroren. Man kennt ja die Taktik. Ein Wechsel war damals ja nicht schlecht, aber so wie der Wechsel stattfand, das war ein Graus. Es ist nicht schlecht, einmal eine konservative Regierung zu haben, weil sich dann die progressiven Kräfte erholen, bündeln und formieren können, und weil das politische Bewusstsein steigt, auch unter der Jugend, denn da war ja vorher keines mehr. Das war der gute Nebeneffekt, aber diese Regierungsform war erstens viel zu lang, urlang, diese sechs Jahre, und zweitens mit den Blauen drin und von den Blauen getrieben – das war keine konservative Regierung, das war eine rechts-rechtsextreme Regierung. Und worüber ich jetzt entsetzt bin, ist, dass der Schüssel überhaupt nicht merkt, dass er abgemeldet ist und noch mehr darüber, dass die progressiven Kräfte in der ÖVP scheinbar langfristig mit Schlangengift gelähmt wurden, denn, da regt sich ja überhaupt nichts mehr. Die Partei ist ja auf der kritischen Seite tot. Das schadet, denn es gab vor der blau-schwarzen Regierung oft gute Meldungen gerade aus der ÖVP, ich meine, um die konservative Seite der SPÖ auszugleichen, ist es gut, die mit den progressiven Kräften aus der ÖVP zu neutralisieren. Und das hat man im Moment nicht mehr, weil die alle in Leichenstarre versetzt sind. Mir kommt vor, dass die Intelligenzia der Vor-Schüssel-ÖVP die Partei längst verlassen hat. Die ganzen progressiven Kräfte der Volkspartei trifft man nur noch im Kunstbereich, aber in der Politik sind die abgemeldet. Marboe, Boris Marte, alle diese Leute, die ja wirklich starke ÖVPler waren, die sind in der Kunst unterwegs. Und machen gute Sachen. Aber schade für die Partei, denn die wird ausgehungert.

dieStandard.at: Wie siehst du jetzt die Arbeit der politischen Figur Morak?
Bady Minck: Oh, den habe ich schon ganz vergessen! (lacht) Ist der noch in Betrieb? An den erinnere ich mich schon gar nicht mehr, denn der schiebt keine Meldungen mehr herüber. Ich dachte, der wäre schon längst ausgewandert. Morak hat uns Filmschaffende die ersten Jahre extrem gequält, bis wir mit der Diagonale zurück geschlagen haben, da wurde er zur Einsicht gezwungen, dann war er ruhig und ließ wieder mit sich reden. Vorher war ja kein Gespräch mehr möglich. Ab da hat er bei der Filmbranche mehr aufgepasst und ist nicht mehr wie ein Diktator durch gefahren. Nachher hat er sich dann woanders ausgetobt (lacht). Denn bei uns kriegte er zu schlechte Presse. Vorher versuchte er die ganze Filmbranche nach seinen Vorstellungen umzubauen, nachher machte er eigentlich ein paar sinnvolle Sachen. Z.B. hat er den RTR-Förderungs-Fonds eingerichtet, dafür, dass Filmgesellschaften mit ein bisschen Förderung Fernsehproduktionen machen können, denn sonst hätten noch weniger heimische Fernsehproduktionen entstehen können. Dafür sind ihm auch einige Filmfirmen dankbar, weil das Fernsehen derart ausgesetzt hat. Unter ORF-Chefin Lindner wurde ja in Österreich fast nichts mehr fürs Fernsehen produziert, die hat ja alles zugekauft und österreichische Produktionen massiv abgedreht, abgesehen von Universum und Serien wie "Schloßhotel Orth" oder wie die alle heissen, diese Mega-Mainstream-Produktionen. Es gibt nur zwei, drei Produktionsfirmen, die so etwas herstellen und davon leben. Die produzierten weiter für die Lindner. Der grosse Rest der Filmszene kam aber ziemlich ins Kämpfen. Die junge Szene wurde von den großen, alteingesessenen Produktionsfirmen in der Presse, bei den Politikern und in den Produktionsverbands-Versammlungen sehr attackiert. Weil der Produktionskuchen geschrumpft und das Fernsehen ausgefallen ist- jetzt spüren sie das bisschen Geld, das wir für unsere innovativen Filme bekommen und das natürlich auf der anderen Seite fehlt...

dieStandard.at: Was hoffst du jetzt, wer im Bereich Kultur nach kommt?
Bady Minck: Man hört Gerüchte, dass Hans Hurch oder Bettina Leidl im Rennen sind. Hans Hurch als Kulturminister wäre interessant, mir gefällt auch die Idee mit Bettina Leidl, aber noch lieber wäre mir Valie Export. Valie Export for Kulturminister! Sie hätte die Power. (lacht). Oder wenn Valie Export keine Lust hat, dann die Aktionskünstlerin Marina Grzinic von der Akademie. Vielleicht wäre die Export ja besser als Außenministerin, wegen ihrem Namen... (lacht). Nein, ich will sie als Kulturministerin.

Gedanken über Gusenbauer auf Haupts Spuren und anderes >>>

dieStandard.at: Wie hat sich das Kunst- und Kulturbild in den letzten sechs Jahren verändert? Es hat sich in kritische und in konservative Kunst polarisiert, meinst du. Aber was gab es für Debatten? Die größte betraf die geklaute Saliera, oder?
Bady Minck: Es gab keine wirklichen Inhalte, keine Debatten, mir fällt nichts ein. Es wird in der Albertina und auch in anderen Ausstellungshäusern vermehrt auf Quoten geschaut, auf möglichst viel durchtrampelndes Fußvolk, nicht auf interessierte BesucherInnen. Ziemlich traurig. Eine gute Sache war das Mozartjahr, im Marboe-Programm war viel Interessantes dabei, wie z.B. "remapping Mozart" und Peter Sellars hat einige spannende Events und Filme mit internationalen KünstlerInnen auf die Beine gestellt, wodurch sich Debatten ergaben. Auf die Vielfalt der Welt schauen und nicht nur auf den eigenen Nabel starren, so würde ich sein Programm charakterisieren. Wir sind ein Teil der Welt und wir wollen auch im internationalen Kontext denken und diskutieren, was in Wien oft vernachlässigt wird. Tolle Filme wurden da mit österreichischem Geld produziert, was eigentlich nicht selbstverständlich ist – da steckte die Stadt Wien finanziell dahinter. Ich selbst habe einen Ein-Minuten-Film für Marboes Projekt mit den filmischen Mozart-Minuten realisiert, zu dem 24 RegisseurInnen eingeladen waren. Eine Minute ist ein bisschen kurz, aber es war ein lustiges Konzept.

dieStandard.at: Eine provokante Frage: Glaubst du, sie machen Alfred Gusenbauer im Endeffekt noch zum Frauenminister – in der Tradition von Herbert Haupt?
Bady Minck: (Lacht) Aber wer wird denn dann Kanzler? Van der Bellen als Kanzler? Das wäre der Hit! Aber es geht sich ja leider nicht wirklich aus. Die Grünen und die SPÖ trauen sich nicht als Minderheitsregierung, schade eigentlich. Man hat ja wirklich gedacht, jetzt hatten die Roten lange genug Zeit, um einen Kern zu bilden, um intelligente Strategien zu entwickeln, um gute neue Leute zu formieren... Als krankhafte Optimistin war ich mir zu 99 Prozent sicher, dass dies im Werden sei... Und was hat man jetzt? Ich habe nicht gemerkt, dass die aus den sechs Jahren Opposition so viel gelernt hätten. Ich hegte die letzten Jahre schon den Verdacht, die SPÖ wäre ausgewandert, um in Schweden die Sozialdemokratie zu studieren! Ich hatte keinen Zugang zum Parlament, um zu schauen, ob sie doch noch da sind (lacht). Ich rede von der Opposition, denn in der Stadt Wien sind sie ja fleißig am Werken. Nein, ich bin enttäuscht. Der Kunstraum hat also abgehoben, diese direkte Verbindung von Kunst und Politik, die es für mich im Jahre 2000 gab, ist nicht mehr da. Die Regierungspolitik ist auf ein so tiefes Niveau gesunken, dass es selbstschädigend wäre, sich damit zu befassen. So tief kann nicht mal die Undergroundkunst tauchen, um das Bundespolitik-Niveau zu erreichen! Wir selbst haben in der Zwischenzeit ganz viele Filme mit ganz wenig Geld produziert. Wir haben Tag und Nacht gearbeitet. In Luxemburg gibt es, gemessen an der Einwohnerzahl, das 20fache an Förderung für Filmproduktionen. Dass hier die Filmbudgets erhöht werden, das wäre jetzt ein wichtiger Schritt. Denn jetzt, wenn drei große Filme gedreht werden, die auf internationalem Niveau sein sollen, dann ist schon das ganze Geld weg. Was macht man dann mit den Dokumentarfilmen, den Kurz und Experimentalfilmen, den Nachwuchsfilmen, den Low Budget Spielfilmen? Irgendwie glaubt man, die wollen gar nicht, dass Filme entstehen. Glücklicherweise gibt es so viele interessante Produktionen und der internationale Erfolg des österreichischen Films ist unglaublich. Es gibt kein wichtiges Festival auf der Welt, auf dem nicht ein, zwei österreichische Filme im Wettbewerb laufen und oft sogar noch einen Preis gewinnen. Morak hat das lange nicht mitgekriegt, dabei ist es wirklich erstaunlich, wie präsent der österreichische Film international ist!

dieStandard.at: Noch eine andere Frage: Du als Luxemburgerin mit einem kleinen Sohn..., was dachtest du, als die Frau Ministerin Haubner noch schnell diesen Erlass in Bezug auf die ausländischen Kindern gemacht hat?
Bady Minck: Oh Göttin. Das war so kriminell. Und was Ministerin Prokop gemacht hat mit den Flüchtlingen, das war auch alles andere als christlich! Bei der Haubner weiß man wenigstens, dass sie eine stramme Blaue ist, aber die Frau Prokop, die so jovial auf menschlich tat... und in Wirklichkeit dafür gesorgt hat, dass ganze Familien und sogar einzelne Kinder ausgewiesen wurden. Wenn ich die Berichte lese, wenn ich sehe, wie ganze Schulklassen dagegen protestieren, dass ihre SchulkameradInnen plötzlich abgeschoben werden... dann wird mir klar, dass die katholische Nächstenliebe der Innenministerin nur gespielt war. Ich selbst betreibe ein Flüchtlingsprojekt, bei dem ich seit vier Jahren moslemische Flüchtlingskinder, die aus Luxemburg ausgewiesen wurden, betreue. Die Kinder fotografieren im Rahmen meines Kunstprojektes ihr eigenes Leben. Ich habe ihnen Kameras besorgt und sie animiert, ihr Leben in den Flüchtlingsheimen und außerhalb zu dokumentieren. Einige Familien konnten in Luxemburg bleiben, andere wurden trotz massiver Proteste abgeschoben. Wir haben nach diesen Abschiebungen das Projekt in Serbien und Montenegro weitergeführt, ich war letzten Herbst in Montenegro und habe mit den Kindern weitergearbeitet. Die Fotos und andere Arbeiten zum Thema werden im Herbst im Museum moderner Kunst in Luxemburg ausgestellt. Die Jugendlichen werden für den Aufbau eingeladen und kriegen dadurch zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes EU-Visum für drei Monate. Ihre Stimme wird gehört oder vielleicht besser; ihre Augen werden gesehen werden. In Luxemburg dürfen sich Flüchtlinge keine Schule, keine Wohnung, keine Arbeit aussuchen, ja nicht einmal ein Haustier halten. Sie haben keine Rechte. Aber es ist nicht so schlimm wie im Lager Traiskirchen, wo ich nicht einmal rein dürfte um Flüchtlingsfamilien zu besuchen.

dieStandard.at: Hast du schon den "Freiwilligenpass" des Ministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen gesehen, in dem man ehrenamtliche Arbeit vermerken soll?
Bady Minck: Was schreibt man da rein? Wie viele Flüchtlinge man bei sich aufgenommen hat? Oder wie viel illegale Ausländer man unter der Brücke gefangen und fest gehalten hat, bis die Polizei kam, um sie abzuschieben?