Warum nicht mal mit Dildo? Lindsay Beamish in John Cameron Mitchells Sexkomödie "Shortbus".

Foto: Stadtkino
Wien - Der lüsterne Reigen, der am Anfang von John Cameron Mitchells Film Shortbus steht, führt gleich einmal in die Irre. Da wird ein junger Mann von einer Punk-Domina im Hotelzimmer gezüchtigt, ein heterosexuelles Paar treibt es in wechselnden Stellungen ausgelassen in der eigenen Wohnung, und einem anderen Mann gelingt es in einem akrobatischen Akt, sich selbst einen Blowjob zu verpassen - was er auch gleich per Video festhält, während er vom Nachbarhaus aus dabei beobachtet wird.

Man könnte somit glauben, in New York - das der Film zum Schauplatz wählt und dem er eine Hymne angedeihen lässt - stehe sexuell, zumindest was die Bandbreite betrifft, alles zum Besten. Shortbus setzt aber mit einem Bild von Ground Zero ein, das übergangslos in das schon erwähnte Hotelzimmer führt. Ein Post-9/11-Befund also, der den Einschnitt in das liberale Selbstverständnis der Stadt anhand von psychosexuellen Befindlichkeiten erforscht: Wie geht es den New Yorkerinnen und New Yorkern im Bett (oder auch sonstwo)? Nicht so gut, wie es zunächst scheint.

Das ist freilich an sich noch nicht weiter bemerkenswert. John Cameron Mitchell benützt den Sex allerdings nicht über Umwege, sondern als Gerade zur Grundbefindlichkeit seiner Protagonisten - und er setzt ihn in jeder Hinsicht explizit um. Damit reiht er sich einerseits in jene lose Folge aus jüngeren Filmen aus dem Arthouse-Sektor ein - Patrice Chéreaus Intimacy, Catherine Breillats Romance oder Vincent Gallos The Brown Bunny -, die vor der Zurschaustellung von Geschlechtsakten nicht zurückschreckten. Mitchell nützt diese Bilder aber weniger als skandalösen Mehrwert, vielmehr arrangiert er die gesamte Erzählung rund um die Frage, welche Vorstellungen von Freiheit sich heute an Sex noch knüpfen lassen.

Diverse Defekte

Die Defekte, um deren Bewusstwerdung und Kurierung es in weiterer Folge geht, sind vielfältig. Sophia (Sook-Yin Lee) ist eine glücklich verheiratete Sexualtherapeutin. Ihr Manko: Sie hat noch nie einen Orgasmus gehabt. Die beiden Jamies (Paul Dawson und PJ DeBoy) sind ein schwules Vorzeigepaar, doch ein Jamie will wieder James genannt werden - und die Beziehung in Zukunft offener halten. Severin (Lindsay Beamish) verdient ihr Geld wiederum als Domina, träumt aber in Wirklichkeit davon, als künstlerische Fotografin zu reüssieren.

Der Ort, an dem diese "queere" Mischung aus New Yorkern zusammentrifft, ist ein exklusiver Club namens Shortbus, der von dem auch im richtigen Leben bekannten Transvestiten Justin Bond geleitet wird. Man kann dort reden, Musik machen (es gibt Live-Auftritte des Animal Collective), einfach nur zuschauen oder gleich zur Sache kommen. Egal auf welche Weise, hier sollen die Figuren über ihre inneren Hindernisse hinwegkommen - einer doch eher anachronistisch wirkenden Idee der Suche nach dem wahren Selbst folgend.

Utopien wird man in Shortbus vergeblich suchen. Das drückt der Film auch aus, wenn Justin Bond einmal sagt, dass es im Club wie in den 60ern zugehe - "nur mit weniger Hoffnung". Die Stoßrichtung des Films bleibt daher therapeutischer Natur: Heute muss jeder an seinem Höhepunkt arbeiten, und im Notfall ist immer jemand für den anderen da, um zu helfen.

Obwohl der Film einen alternativen Produktionsprozess durchlief - das Script basiert auf Gruppenimprovisationen, die Darsteller brachten ihre eigenen Erfahrungen in die Rollen ein -, bleibt er damit einer eher schematischen psychologischen Dramatik treu. Von Ausgelassenheit künden am Ende nur jene Momente, in dem der Sex einfach für sich stehen kann und zum Ausdruck einer Lebenskultur gerinnt: etwa bei einer Dreierkonstellation unter Männern, bei der die US-Hymne zwischen zwei Arschbacken intoniert wird. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Printausgabe, 9.1.2007)