Leopoldine Feichtinger (hinten rechts) als junge Frau in der Fabrik. Schulbildung wurde ihr als Mädchen verweigert, schon früh musste sie als Haushaltshilfe arbeiten.
Foto: Franz Steinmaßl
Linz - "Ich soll die Geschichten und die Geschichte der Poldi aufschreiben, haben mich ihre Freunde gebeten. Ich habe mir ihre Erzählungen angehört und dann zugesagt", erzählt Autor Walter Kohl. Und so entstand aus dem Leben der Linzer Arbeiterin Leopoldine Feichtinger ein 135 Seiten umfassender Beitrag zur Zeitgeschichte, "weil es mich fasziniert hat zu sehen, wie die angeblich großen Ereignisse der Weltgeschichte hineinwirken und hineingreifen in ein banales kleines einzelnes Leben", sagt der Linzer Schriftsteller.

Vielen eine Stütze

Sechs Monate lang mindestens einmal pro Woche besuchte Kohl die mittlerweile 86-jährige alte Dame zu Hause. Jedes Interview wurde aufgezeichnet, daraus entstand das jetzt erschienene Buch "Die Poldi", wie Leopoldine Feichtinger eigentlich nur genannt wird. "Immer wieder wurden wir während der Gespräche unterbrochen. Entweder läutete es an der Tür oder es klingelte das Telefon", berichtet der Autor. "Sie ist so vielen Menschen eine Stütze", würdigt der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch ihre "Verbundenheit zu den Menschen".

In der Zeit ihrer Zusammenarbeit hat auch Kohl diesen Eindruck gewonnen: "Wer in dem Alter noch so viel Sozialkontakte hat, kann von einem glücklichen Leben reden." Und das, obwohl objektiv betrachtet, Poldi kein beneidenswertes Leben führte, wuchs sie doch in den elendsten Zeiten des vorigen Jahrhunderts auf. Wegen ihres Geschlechts wird das begabte Mädchen von Bildung ferngehalten, schuftet als "Mädchen für alles" in den Haushalten der "Geldigen". 1939 wird sie Fabriksarbeiterin. Der NS-Diktatur verweigert sie sich beharrlich. Ihr sozialistischer Vater und sie "haben Glück gehabt, dass wir in Dornach (einem Linzer Vorort, Anm.) gewohnt haben. In Dornach war niemand, der für die Nazis geworben hätte." 1946 kehrt sie zu den Austria-Tabak-Werken zurück. Nach Jahren der Arbeit an den Maschinen gelingt ihr dort 1966 der Aufstieg zur Betriebsrätin.

"Durchhalten müssen" 48 Jahre lang war sie "nie glücklich verheiratet", gibt die Mutter einer Tochter zu. "Damals hat man das halt durchhalten müssen." Dennoch: "Ich lebe gerne", versichert sie. Es war wohl ihr politisches Engagement in der Gewerkschaft wie auch ihre Fähigkeit, alles so anzunehmen, wie es ist, was die einfache Arbeiterin zufrieden werden ließ. "Seit 60 Jahren ist sie SPÖ- Mitglied, seit ebenso vielen Jahren war sie dabei bei den Feiern zum 1. Mai", hält Kohl fest. "Ein gesellschaftspolitisches Modell kann nur eine Demokratie sein. Und da ist die Sozialdemokratie am wichtigsten, weil sie die Bedürfnisse der Menschen am direktesten abdecken kann", setzt dann Poldi zu einem ihrer Grundsatzreferate an. (Kerstin Scheller/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21. 1. 2007)