Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war am Samstag. Beim Spar. Wenige Sekunden vor 17 Uhr. Aber dass der Junge mit der Starmania- oder Idiotenfrisur unmittelbar hinter mir die Eingangstür versperrte und der nach mir mit einem Kinderwagen durch das kleine Schneegestöber pflügenden Mutter bedeutete, dass er sie jetzt leider nicht mehr rein lassen dürfe, war nur der Auslöser.

Denn vermutlich hätten wir (jener Unbekannte, der mit mir noch durch die Tür gerutscht war und ich), den Spar-Buben auch gewürgt und gedroht, so langsam einzukaufen, dass er bis Sonntag hier stehen würde, wenn er die Kinderwagenfrau nicht reinließe, beim Billa das selbe erleben können. Aber als wir den Spar-Buben losließen, überlegte ich kurz, wo und wie wir uns den arroganten („Wer sich ein Kind anhängen lässt, muss halt danach schnell sein.“) Knaben wohl gekrallt hätten, wenn er statt seines Kittels einen dieser Billa-Pullis angehabt hätte.

Hetzendorf

Ums Eck, beim Billa, tragen sie die nämlich schon. Seit ... äh, seit wann eigentlich? Denn als die Pullis mit dem Streifen im Sommer von den Hetzendorfern Modeschülern vorgestellt worden waren, hatten wir noch geätzt, dass das so ja wohl nicht käme. Weil die Leiberln figurbetont waren. Und während das auf den knackigen, ideal geformten, fröhlichen, geschminkten, gut frisierten, glücklich dreinschauenden und den Oberflächen-Idealvorstellungen entsprechenden Vorführ-Körpern der Modeschule ziemlich appetitlich aussah, war die Projektion der Teile auf die real existierenden Körper in meinem Stamm-Billa nicht ganz so zwingend anregend.

Diese Reaktion war damals im Modeschauzelt im Hetzendorfer Schlosspark in den Journalistenreihen unisex. Aber der geschlechtlichen Ausgewogenheit zuliebe sei betont, dass ich mir auch die Mehrheit der unheimlich vielen Billa-Regalbetreuer über 45 im engen Pulli nicht zwingend als Kauflustverstärker vorstelle. Die Damen neben mir – mein Recherchefehler, ich gebe es zu – habe ich während des allgemeinen Höhnens in Hetzendorf allerdings ebendies zu fragen vergessen.

Trash-Prada

Egal. Mittlerweile trägt man bei Billa das, was die Modetante neben mir damals „Supermarkt goes Prada-Trash“ nannte: Schwarz, mit rotem Streifen. Aber aufgefallen ist das – ergab eine private Schnellumfrage – niemandem: Supermarktpersonal tendiert dazu, nicht wahrgenommen zu werden. Was zählt, ist sein Funktionieren. (W. warnt vor diesem Satz: „Diesen Spiegel lassen sich eure hauptamtliche Bessermenschen mit Onlinezugang sicher nicht ohne Weiteres vorhalten.“).

Bei meinem Billa dürfte allerdings das Personal passend zu den Pullis ausgetauscht werden: Denn wenn das Mädel an der Kassa neulich nur ansatzweise so schnell und zügig gearbeitet hätte, wie die sonst hier sitzenden Damen, hätte ich gar keine Zeit gehabt, aufzublicken und den Sticker „das ist meine erste Woche“ zu erkennen. Aber was die Jungkassiererin anhatte? Vor Ort fiel mir jedenfalls nur die Oberlehrerin an ihrer Seite auf. Eine, die in jener herablassenden Art lobte („guuut, gemacht – ja, das kriegst du jetzt langsam hin. Seeeehr fein. Na, wird ja schon...“) und sich gleichzeitig bei den Kunden entschuldigte („wissen´s die lernt noch, drum dauert das ein bissi länger. Ich hoffe sie haben Verständnis...“) die keinen Zweifel daran ließ, wie sehr sie die Junge verachtete: Anbrüllen und peitschenknallen wäre ehrlicher, dachte ich mir, als ich den panisch-hektischen und geradezu unterwürfig-verzweifelten Blick der Jungkassierin auffing. Das Neo-Kassengirl sah fast so aus, als habe ihr ihrer Einschulerin erfolgreich eingeredet, dass Kassasitzen ein Job ist, bei dem Tempo kein Resultat von Routine, sondern von Begabung ist.

Enger Sweater

Aber zurück zum Thema: Dass die junge Frau einen eng anliegenden und (Sexismus! einwandfrei Sexismus!) figur- wie altersbedingt eng und gut sitzenden Sweater trug, fiel mir nicht auf. Erst, als wir am Sonntag über die Billa-Dressen plauderten, kam das Bild wieder. Und eigentlich, schloss ich daraus, ist es also völlig wurscht, was Supermarktsklaven anhaben. W. allerdings erhob Einspruch: Die neue Kluft habe Erinnerungen an die Greisslerin seiner Jugend ausgelöst. Die sei später an der Wursttheke jenes Supermarktes gestanden, der ihren Laden gekillt hatte. Die Frau habe immer weiße Kittelschürzen getragen. Ärmellos. Er träume heute noch, sagte W., von den Impfmalen, an denen er sich damals mit einer Mischung aus Faszination und Ekel an den Schultern der mächtigen Oberarme der Wurstfrau optisch fest gehalten habe. Nur um nicht ständig auf ihre unter den Armen hervorwuchernden Achselhaare sehen zu müssen.

Vielleicht, sagte W., sei das mit ein Grund dafür, dass er heute Vegetarier ist. In jedem Fall wünsche er uns möglichst viele derartige Anblicke. Um, wie W. meint, die Wahrheit hinter den Kulissen der Lebensmittelszene zu illustrieren: Aus pädagogischen Gründen also, meint W., seien schmucke, oder gar sexy aussehende Dressen in Supermärkten etwas ganz ganz Böses. Trotzdem wollte er wissen, wo meine junge Billa-Kassiererin mit dem engen Top zu finden ist.