Schlag nach bei Shakespeare – am besten in der zweisprachigen Ausgabe mit den (derzeit 34) Übertragungen Frank Günthers.

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STANDARD: Das Geschäft der Anfertigung deutscher Shakespeare-Übersetzungen bedeutete offenbar stets mehr als nur "Dienst an der Praxis". Seit Christoph Martin Wieland diente die hochsprachliche Auseinandersetzung mit Shakespeare der Selbstvergewisserung der Deutschen, zu welchen Leistungen ihre Hochsprache wahrhaft imstande sei. Teilen Sie diese Ansicht – und wenn ja: Spielt sie in Ihrer Arbeit eine gewisse Rolle?

Günther: Oh, eine zentrale, aber anders als Sie wohl meinen: Die "hochsprachliche" Aneignung Shakespeares ist eine Geschichte der Missverständisse. Shakespeare, unser dritter deutscher Klassiker nach Schiller und Goethe – dagegen gilt in Frankreich der Ausspruch von Voltaire: "Shakespeare? Ein betrunkener Wilder, ein Barbar!"

Wie kann das sein? – Shakespeare war im 18. Jahrhundert zur Corporate Identity eines deutschen Bürgertums stilisiert worden, das die französische Kulturoberhoheit loswerden wollte – Racine, Corneille, der "hohe Ton" auf edlem Kothurn. Dagegen setzte man den wilden Shakespeare als "seelenverwandtere" Integrationsfigur einer neuen "deutschen" Kultur. Aber natürlich konnte das aufstrebende Bürgertum keinen Schweinkram im Text vertreten – und so wurde Shakespeare in den großen Übersetzungen von Wieland und später Schlegel/Tieck im 18./19. Jahrhundert hochtönend "edler" als in seinen Texten aus dem 16. Jahrhundert.

Und diesem Shakespeare aus dem 16.Jahrhundert suche ich gerecht zu werden. Da ist nicht die Hochsprache das Problem, sondern die Vielzahl der Sprachen, in denen er sein Personal reden lässt: Da gibt’s in der Tat preziöses, hochsprachliches Hofgefloskel; und: Gassen- und Gossensprache, Jargon, Umgangssprache, derben Idiolekt und Soziolekt, Kalauer und Geblödel neben rhetorischen Koloraturarien – eine breite Palette. Shakespeare war ein bewusster Sprachkünstler, ein James Joyce des 16. Jahrhunderts!

STANDARD: Um nur kurz noch bei Wieland zu verweilen: Verschiedene Wortfindungen von ihm wie "Milchmädchen", "Steckenpferd" oder "Kriegserklärung" wurden ins Deutsche eingebürgert. Sind dergleichen "Glücksfunde" bei der Shakespeare-Übersetzung heu-te überhaupt noch zu machen?

Günther: Schwierig. Wieland schrieb in einer Zeit, in der die deutsche Sprache noch im Gärungsstadium war. Wir heute: In der Zeit des Stammel-Denglish. "Totaler Abfuck, wenn de mitn NightTrain-Ticket oder Interrail rumtraveln musst und kanns nich’ mal im Web surfen, meantime, weil, gibt im ganzen Train keine Power zum Einpluggen nich’ ..." – gerade gehört. Wieland konnte den Wortschatz des Deutschen noch prägen. Heute muss man ihn vor Erosion schützen. Trouvaillen kommen vor.

STANDARD: Wie stark basiert Ihre Arbeit auf bereits vorhandenen, vorliegenden Übersetzungen? Will heißen: Wie stark "stößt" man sich "ab" von Arbeiten wie den Schlegel/ Tieck’schen, Baudissin’schen, Fried’schen, Brasch’schen?

Günther: Ich habe bei wohl allen "Kollegen" mal reingesehen – und bis auf Schlegel/Tieck/Baudissin alles immer schnell weggelegt: Ich will ja nicht ein Pêle-mêle aus vorliegenden Übersetzungen zusammenschustern – ich will einen eigenen Ton als Interpret des alten Textes setzen, wie jeder Sänger singend eine alte Arie in seinem eigenen "Ton" interpretiert.

Die Schlegel-Übersetzung ist ein Sprachkunstwerk ihrer Zeit; ihr Klang steht für Shakespeare wie der Luther-Klang für die Bibel. Daran muss man sich orientieren und dann neue Wege finden – nicht, weil Schlegel schlecht wäre; er war genial! Aber mit "Meiner Treu, du mein liebes Mühmchen" ist nun, zweihundert Jahre nach Schlegel, nichts mehr von der Welt zu erzählen. Übersetzungen altern, und schneller als die Originaltexte. STANDARD: Womit wir bei der Frage nach der notwendigen oder hinreichenden Modernität landen: Wie viel Jargon, idiomatische Freiheit verträgt Shakespeare – natürlich immer eingedenk der Tatsache, dass er höhere und niedere Stände bediente, hohe, tiefe Tonlagen einzusetzen in der Lage war?

Günther: Warum soll ein Übersetzer heute nicht ebenso "hohe und tiefe Tonlagen" setzen, wenn Shakespeare das vorgibt? Eine "tiefe Tonlage" des Originals in der Übersetzung auf "hohen Ton" zu trimmen – das verfälscht doch Shakespeare. Wie jemand redet, charakterisiert ihn ebenso wie das, was er sagt. Shakespeares Figuren sagen keine Gedichte auf – Shakespeares Kunst war es, sie gesprochene Sprache reden zu lassen, selbst im "Zwangskorsett" des Blankverses! Natürlich ist das mit dem "Jargon" gefährlich – man kann leicht in den platten Anachronismus abstürzen. "Dampf ablassen" – geht das bei Shakespeare? Nein! – gibt’s erst seit der Erfindung der Dampfmaschine. "Dieser Rotzlöffel!" – geht das? Ja! Damit hat schon vor 500 Jahren Martin Luther den Dr. Eck beschimpft. Geht das alte Wort "geil"? Fast nie, weil heute Modewort. "Übersetzen ist eine lange Reihe falscher Entscheidungen", sagte Karl Kraus.

STANDARD: Die regelmäßig wiederkehrenden Zweifel an der "Identität" Shakespeares gründen auch in der (nicht unbedingt qualitativen) Ungleichwertigkeit seiner Hervorbringungen. Welche Anforderungen stellt dies an Ihre Arbeit?

Günther: Die Zweifel an der Identität Shakespeares gibt’s erst seit ca. 130 Jahren als Erfindung von Feierabendverschwörungstheoretikern, gut fürs Feuilleton – die aber nichts mit den Werken zu tun haben: Die Unterschiede in Shakespeares Texten sind von einer Art, wie sie ein "Lebens-werk" eben aufweist: Vom jungen Mann zum alten, da ändern sich Stil, Stimmung, Weltsicht, Konzentration, ja, auch "Mode" – vom Thema bis zur Versbehandlung. Dem hat man als Übersetzer zu folgen.

STANDARD: Last, but not least: Wie weit ist Ihr Titanenwerk einer Gesamtübersetzung bis da-to gediehen? Und können Sie kurz die erläuternde Unterzeile Ihres Programms erklären: "ramschige Reime, klappernde Jamben" – Shakespeare, der Sprachkesselflicker?

Günther: Von insgesamt 38 Dramen bin ich jetzt bei Nummer 34 – aber Sie meinen, ich nenne Shakespeare einen "Sprachkesselflicker"? Oh je, so war’s nicht gemeint! "Ramschige Reime, klappernde Jamben" – da meinte ich all die Vorurteile, die ein moderner Mensch gegen die alten Texte hat: "Wozu denn Reime und Verse, boah, is’ doch blöd, so spricht doch keiner" – und dabei kann Verssprache total geil sein, wenn – aber kommen Sie in meinen Abend, dann erzähl ich’s Ihnen genauer. (Interview: Ronald Pohl/ DER STANDARD, Printausgabe, 31.01.2007)

>>>Republik Shakespeare
Drei Jahre lang konzentriert sich das Burgtheater auf Shakespeare

Republik Shakespeare

Wien – Drei Jahre lang konzentriert sich das Burgtheater auf Shakespeare. Ergänzt wird der Aufführungszyklus um ein Begleitprogramm mit Philosophen, Kunst- und Literaturwissenschaftern. Die Reihe mit dem Motto – "Eine Republik von Fehlern" – eröffnet heute Shakespeare-Übersetzer Frank Günther. Im März folgt der Soziologe Jan Philipp Reemtsma mit einem Vortrag über "Shakespeare und die Erfindung des gewaltempfindlichen Gewissens" (27. 3.), im April der Kunsthistoriker Werner Hofmann über den "Sommernachtstraum" und Christoph Kardinal Schönborn zu "Maß für Maß oder Die Kraft des Verzeihens". Ferner: Beat Wyss, Klaus Theweleit, Herfried Münkler, Wolfgang Sauseng – und, 2008 – der Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt.

Für Festabonnenten ist der Eintritt frei. Ein Shakespeare-Pass sichert 25 Prozent Ersparnis ab der dritten Shakespeare-Vorstellung. (cia/ DER STANDARD, Printausgabe, 31.01.2007)