Ulrike Ploil (51), geboren in Linz, ist Hebamme und betreut vorwiegend Hausgeburten. Ausgebildet an der Semmelweisklinik in Wien, pausierte sie nach der Geburt ihrer Tochter 1988 für zehn Jahre und war in dieser Zeit am Aufbau des Hebammenzentrums in Wien beteiligt, das sie acht Jahre lang als Geschäftsführerin leitete. Derzeit ist sie im Vorstand. Seit 1999 betreut sie wieder Frauen während der Schwangerschaft und bei der Geburt. Ulrike Ploil lebt in Wien.
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Lukas Hefler (37), geboren in Eisenstadt, ist Facharzt für Gynäkologie und seit 2005 Oberarzt in der Abteilung für Geburtshilfe an der Universitätsfrauenklinik Wien, wo er auch seine Ausbildung begonnen hatte. Hefler habilitierte sich 2002, lehrt an der Medizinischen Universität Wien und wurde 2005 zum Professor berufen. Seit zwei Jahren führt Hefler eine Privatordination in der Privatklinik Döbling in Wien und in Eisenstadt. Er ist verheiratet und lebt in Wien.
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Kinderkriegen ist keine natürliche Sache mehr, sondern ein medizinisches Projekt, beklagt die Hebamme Ulrike Ploil. Für den Gynäkologen Lukas Hefler sind die Methoden der Diagnostik und Kontrolle ein Segen für die Frauen. Die Diskussion moderierte Sabina Auckenthaler. Standard: Was alles gehört für Sie heute zu Geburtshilfe?

STANDARD: Was alles gehört für Sie heute zu Geburtshilfe?

Ploil: Ein Kind zu bekommen ist etwas ganz Besonderes im Leben einer Frau. Ihr Körper wird stark gefordert, und sie sollte eigentlich unterstützt werden, die eigenen Ressourcen auszubauen. Stattdessen belastet man sie heute damit, was sie nun alles tun muss, damit sie ein gesundes Kind zur Welt bringt.

Hefler: Schwangerschaft und Geburt sind etwas völlig Natürliches, aber selbstverständlich muss man über alle Möglichkeiten der modernen Medizin informieren. Für ein Erstgespräch bei einer neu festgestellten Schwangerschaft muss man sich Zeit nehmen und über alle Vorsorgemaßnahmen Auskunft geben.

STANDARD: Worüber genau?

Hefler: Neben einer Reihe von Untersuchungen sind im österreichischen Mutter-Kind-Pass zwei Ultraschall- untersuchungen vorgesehen, weitere werden nach Bedarf durchgeführt. Außerdem muss man die so genannte Nackenfaltenmessung anbieten. Mit dieser kann man eine mögliche chromosomale Schädigung des Fötus feststellen. Hier braucht es Zeit für klärende Fragen: Will die Frau überhaupt wissen, ob ihr Kind vielleicht eine Behinderung hat? Ein Arzt, der diese Maßnahme heute nicht anbietet, kann geklagt werden. Mit dem Organ-Screening in der 20. Schwangerschaftswoche wird kontrolliert, ob die Organe des Ungeborenen in Ordnung sind. Ob die Untersuchungen gemacht werden, entscheidet aber immer die Frau.

Ploil: Ich glaube, die moderne Frau weiß grundsätzlich, was angeboten wird. Vom Arzt oder von der Hebamme erwartet sie eine Position und keine neutrale Information. Frauen müssen heute aus Methoden der Diagnostik oder Kontrolle wählen, die sie selber nicht wirklich bewerten können. So werden Entscheidungen mit den damit verbundenen Zweifeln auf sie abgewälzt. Zugleich werden Frauen durch das Kontrollangebot von Beginn der Schwangerschaft an unter Druck gesetzt. So bauen sich oft innere Spannungen auf, die zu einer schwierigen Geburt führen können.

Hefler: Das sehe ich nicht so. Früher hat der Arzt entschieden, was gemacht wird. Ich halte es für einen großen Fortschritt, der Frau diese Freiheit zuzugestehen. Ich kann schließlich auch nicht entscheiden, ob sie mit einem Kind mit Downsyndrom zurechtkommt.

STANDARD: Auch bei der Geburt hat die Frau mehrere Möglichkeiten. Was unterscheidet Haus- und Klinikgeburt?

Ploil: Haus- und Klinikgeburt ist, wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Beides ist Obst, schmeckt aber anders. Eine deutsche Studie hat die Geburtsprotokolle von über einer Million Frauen untersucht und festgestellt, dass nur bei sechs Prozent nicht eingegriffen wurde. Bei den anderen wurde künstlich auf die Geburt eingewirkt: durch Öffnen der Fruchtblase, Infusionen, Wehenmittel usw. Von den zwei Prozent der Frauen, die sich heute für eine Hausgeburt entscheiden, gebären 94 Prozent ohne Eingriffe von außen. Das liegt an auch an der Einstellung dieser Frauen.

STANDARD: Und die Sicherheit?

Ploil: Sicher ist eine Hausgeburt heute genauso wie eine Klinikgeburt, das belegen Studien. Bei Komplikationen bleibt die Fahrt in die Klinik.

Hefler: Es gibt auch andere Daten, die sagen, dass die kindliche Sterblichkeit bei Hausgeburten erhöht ist. Aber es stimmt, dass die Daten für Hausgeburten besser sind, als viele glauben. Es muss aber erwähnt werden, dass Frauen, die sich dafür entscheiden, ein niedriges Risiko haben. Deshalb lassen sich die Zahlen nicht vergleichen.

STANDARD: Gynäkologen raten also tendenziell von der Hausgeburt ab?

Hefler: Als Gynäkologe empfiehlt man natürlich eine Entbindung in einer dafür ausgestatteten Abteilung. Aber wenn die Frau über alle möglichen Risiken informiert ist und eine erfahrene Hebamme hat, spricht prinzipiell nichts dagegen. Und es gibt ja die Empfehlung, dass eine geburtshilfliche Abteilung in 15 Minuten erreichbar sein soll.

Ploil: Gynäkologen wissen meist gar nicht, wie eine Hausgeburt abläuft. Ich habe noch nie einen Gynäkologen gesehen, der bei einer Hausgeburt anwesend war und erleben wollte, wie eine Geburt in einem natürlichen Rahmen, bei dem die Frau in ihrem Geburtsgeschehen nicht gestört wird, stattfindet.

STANDARD: Jede vierte Frau entbindet heute per Kaiserschnitt. Mit mehr als 40 Prozent liegt das AKH in Österreich an der Spitze. Warum?

Hefler: Für die hohe Rate im AKH muss man bedenken, dass wir die Zentraleinheit für alle Risikoschwangerschaften in Ostösterreich sind. Und oft sind es die Frauen, die von vornherein sagen, sie wollen jedes Risiko ausschließen und einen Kaiserschnitt.

Ploil: Die Kaiserschnittrate hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Ich glaube nicht, dass die hohe Zahl hauptsächlich von den Frauen abhängt. Für viele Ärzte ist es die bequemste Art der Geburtsbegleitung: Es geht einfach und ist schnell erledigt.

STANDARD: Ist ein Kaiserschnitt denn überhaupt sicherer?

Hefler: Beide Formen der Entbindung sind mit Risiken verbunden. Aber wenn sich während der Geburt ein Hinweis ergibt, dass etwas nicht gut gehen könnte - hundertprozentig vorhersagen können wir das nie -, wird ein Kaiserschnitt empfohlen.

Ploil: Es gibt heute Hinweise, dass die enorme Zunahme an Kaiserschnitten die Sicherheit der Geburten wieder senkt. Ich bezweifle, dass hier immer nur aufgrund der Sicherheit der Frau entschieden wird. Ein Kaiserschnitt ist gewiss der sicherste Weg für die Geburtsbegleiter. Wenn nach einem Kaiserschnitt etwas nicht in Ordnung ist, können sie sagen, sie haben alles versucht.

Hefler: Es stimmt, dass die wenigsten Prozesse wegen eines durchgeführten Kaiserschnitts stattfinden, sondern wegen eines nicht durchgeführten.

STANDARD: Wie stark ist der Druck auf Ärzte durch mögliche Klagen? Können Sie noch Empfehlungen geben?

Hefler: Der Druck ist enorm. Aber natürlich sage ich Frauen, wenn sie mich fragen, was ich persönlich in einem bestimmten Fall tun würde. Wenn wir das nicht mehr dürfen, können wir mit unserem Beruf aufhören, dann kann die Frau die Informationen auch aus dem Internet beziehen.

STANDARD: Manche Frauen wollen einen Kaiserschnitt, weil sie Angst vor den Geburtsschmerzen haben.

Ploil: Auch das zeigt, wie unnatürlich unser Umgang mit der Geburt ist. Der Geburtsschmerz ist wichtig. Wenn er unerträglich wird, ist das ein Warnsignal. Deshalb ist es für mich als Hebamme schwierig, wenn der Schmerz mit Medikamenten genommen wird. Ich kann dann nicht mehr feststellen, ob alles in Ordnung ist. Der Schmerz erleichtert der Frau auch, sich vom Kind zu trennen, damit es geboren werden kann. Mit dem Schmerz hält sie eine innere Spannung, die dem Kind vorgibt, wie es sich durch das Becken bewegen muss. Eine gute Geburtshilfe leitet die Frau an, wie sie ihre Grundspannung niedrig halten und mit dem Schmerz umgehen kann.

Hefler: Es gibt keine Daten, die darauf hinweisen, dass Schmerzen bei einer klinischen Entscheidung helfen. Außerdem finde ich es unfair, eine Frau leiden zu lassen, die starke Schmerzen angibt, wissend, dass es die Epidural- anästhesie gegen die Schmerzen gibt. Frauen mit Schmerzen gebären ja nicht besser als Frauen ohne Schmerzen. Anbieten muss man die Möglichkeiten auf jeden Fall.

Ploil: Wenn dauernd betont wird, dass Schmerzen genommen werden können, wird es die Frau auch annehmen. Und wenn sie während der Geburt immer wieder durch das CTG (Cardiotokografie) in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, werden die Schmerzen natürlich unerträglich. Dabei ist das CTG oft nicht aussagekräftiger als ein Orakel. Eine regelmäßige Kontrolle mit dem Hörrohr reicht laut WHO. Die Nebenwirkungen der Schmerzmittel sind auch ungünstig.

Hefler: Die CTG hat viele Einschränkungen, ist aber momentan das Einzige, womit während der Geburt der Zustand des Kindes kontrolliert werden kann. Zu den Nebenwirkungen: Es gibt keine Wirkung ohne potenzielle Nebenwirkung. Im Falle von Schmerzmitteln während der Geburt werden teilweise die Wehen schwächer, weshalb die Austreibungsphase etwas länger dauern kann.

STANDARD: Aber das Risiko bei Geburten ist deutlich gesenkt?

Ploil: Die verbesserten sozialen Verhältnisse und die Hygienesituation haben die Geburtshilfe ungemein weitergebracht. Auch die Erkenntnis der Blutgruppenunverträglichkeit war ein Meilenstein. Ob uns tatsächlich Ultraschall, CTG und Kaiserschnitt hierher gebracht haben, bezweifle ich.

STANDARD: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Hefler: Wir sind auf einem hohen Level. Ich wünsche mir aber mehr Akzeptanz dafür, dass es in der Medizin keine 100-prozentige Sicherheit gibt.

Ploil: Derzeit gilt eine Frau, die schwanger wird, in der Gesellschaft nicht als erfolgreich. Ich wünsche mir, dass das anders wird und schwangere Frauen mehr behütet werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.2.2007)