Wien - Er vermag seine Freude über Applaus und Standing Ovations immer noch auf eine Weise zu zeigen, als erlebe er sie das erste Mal, ebenso, wie er seinen Irritationen über die unverbesserlichen Huster den Ausdruck verwunderten Unverständnisses verleiht - trotz der altbekannten Unvermeidlichkeit dieses Themas, mit dem man sich auch einfach abfinden könnte.

Doch Alfred Brendel setzt sich jedes Mal aufs Neue zur Wehr: Einer seiner Aussprüche ziert inzwischen die Programmhefte des Konzerthauses, was allerdings nur wenig fruchtet. Jene pulmologischen Mikroepidemien, die auch außerhalb von Grippezeiten zwischen den Sätzen losbrechen, zaubern beständig den Anflug von Verzweiflung in des Meisters Mienenspiel.

Und das, obwohl es diesmal mit den Geräuschen so schlimm gar nicht war, sondern Aufmerksamkeit die Atmosphäre bestimmte, als der 76-Jährige eines seiner altersweisen Programme in die Tat umsetzte: im aufschlussreichen Wechsel von Dur- und Moll-Werken aus jenem Repertoire, auf das sich der Pianist inzwischen fast zurückgezogen hat, nämlich der Wiener Klassik plus Schubert - beziehungsweise einschließlich Schubert, wenn man aus der zeitlichen Nähe auch eine derart stringente ästhetische ableitet, wie Brendel dies tut.

Die Sonaten in c-Moll von Haydn und Mozart als Rahmen, Beethovens As-Dur-Sonate op. 110 als Zentrum - allein diese Anordnung lässt Spannung entstehen und die Individualität nicht nur der Komponisten, sondern zunehmend auch der einzelnen Werke erkennen, zumal in Interpretationen, die noch nachdenklicher geworden sind als von Brendel schon gewohnt, wenn sich die Gedanken noch zwischen die einzelnen Töne zu schieben scheinen, das kleinste Detail reflektierend beleuchtet wird.

Die breiten Tempi unterstützten dies, nicht nur bei den energiegeladenen Schubert-Impromptus in f-Moll und in B-Dur oder dem versonnen als Zugabe gespielten As-Dur-Stück aus demselben Zyklus. So ereigneten sich große Dramen auch in kleinen Formen, bei denen Wärme, Weichheit und Elastizität, die Brendel dem an sich künstlichen Klavierklang abringt, unvermindert faszinieren.

Kleine Konzentrationsschwächen und Geschmacksfragen verlieren an Bedeutung, wenn Brendel auch dem inzwischen wohl hundertfach Gespielten spontane Regungen, aus augenblicklichen Eingebungen entstandene Formulierungen abgewinnt: So ist Musik wirklich eine Tochter der Freiheit. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15.2.2007)