Marburg/Washington - Marburger Forscher haben eine Art Himmelskarte im Hirn von Wüstenheuschrecken aufgespürt. Die Insekten orientieren sich bei ihren tausende Kilometer langen Wanderungen an der Schwingungsrichtung des Sonnenlichts. Der Neurobiologe Uwe Homberg von der Universität Marburg und sein Doktorand Stanley Heinze berichten im US-Fachjournal "Science" (Bd. 315, S. 995), wie diese Informationen im Heuschreckenhirn verarbeitet werden.

"Dass ein Insektenhirn tatsächlich über eine kartenartige Repräsentation elektrischer Feldvektoren am Himmel und über die entsprechenden Verrechnungsmechanismen verfügt, war bisher nicht bekannt", berichten die Wissenschaftler.

Verarbeitung

Die Lichtinformationen werden im so genannten Zentralkomplex des Insektenhirns verarbeitet. Die Nervenzellen sind dort in einer Reihe von 16 säulenartigen Kolumnen zu finden. Jede einzelne Kolumne reagiert nach Erkenntnis der Marburger Forscher auf unterschiedliche Schwingungsrichtungen (Polarisationsreichtungen) des Lichts. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass jede Säule dabei einen Winkelbereich von etwa 26 Grad abdeckt und der Heuschrecke angibt, wie sie zur Sonne steht. Zusammengenommen erfassen die Kolumnen 360 Grad.

Da Heuschrecken wie Bienen und Ameisen über ein außergewöhnliches sensorisches Instrumentarium verfügen, können sie mit speziellen Rezeptoren der Augen am Himmel ablesen, wo und wie die Sonne steht. Dies funktioniert auch bei Bewölkung. "Selbst wenn sie in hohem Gras verborgen ist und die Sonne gar nicht sieht, kann die Heuschrecke deren Position herausfinden, ein kleiner Himmelsausschnitt genügt ihr dafür", erklärte Homberg. "Denn sobald die Heuschrecke die Schwingungsebene des Lichts erkennt, weiß sie, dass die Sonne senkrecht zu dieser Richtung zu suchen ist."

Wind und Licht

Für ihre Untersuchungen fixierten die Wissenschafter im Labor Wüstenheuschrecken (Schistocerca gregaria) in einem Windkanal. Die Insekten konnten ihre Flügel bewegen, blieben aber an derselben Stelle. Mit unterschiedlich polarisiertem Licht simulierten die Forscher unterschiedliche Sonnenstände. Es zeigte sich, dass die Heuschrecken ihre Flugrichtung abhängig vom einfallenden Licht zu verändern suchten. Damit sei die Vermutung widerlegt, dass die Wüstenheuschrecken sich bei ihren tausende Kilometer langen Wanderungen vor allem vom Wind treiben lassen. (APA/dpa)