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Ein Faun, der gern in Rätseln spricht: "Pans Labyrinth" erweitert Francos Spanien um Fabelwesen.

Foto: Reuters
Wien - Fantasy gilt üblicherweise als Genre, das mit den Verwerfungen der Wirklichkeit ein allenfalls indirektes Verhältnis eingeht. Die Monstren und Fabelwesen, die es bevölkern, die hehren Kämpfe zwischen Gut und Böse, die ausgefochten werden - sie stellen im besten Fall Arsenal und Handlungsbögen von Allegorien dar, in denen am Ende jene triumphieren, die reinen Herzens sind. Die Realität sieht dagegen meist farblos aus - statt von eindeutiger Moral wird sie von vielfältigen Interessen bestimmt.

Guillermo del Toros für sechs Oscars nominierter Pans Labyrinth stellt dahingehend einen Sonderfall dar. Wie schon in The Devil's Backbone verknüpft der mexikanische Regisseur ein konkretes zeitgeschichtliches Geschehen mit einer magisch-realistischen Erzählung. Die beiden Ebenen werden aber nicht einfach gegenübergestellt, vielmehr durchdringen und spiegeln sie sich auf mannigfaltige Weise - so als wären es zwei Welten, die nur durch eine dünne Membran voneinander getrennt sind.

So setzt der Film zwar im klassisch märchenhaften Tonfall an, von einer Prinzessin zu erzählen, die vor langer Zeit einem unterirdischen Königreich entstiegen ist, verortet die eigentliche Handlung dann aber im Spanien des Jahres 1944: Der Bürgerkrieg ist zu Ende, Francos Faschisten haben gesiegt, die Rebellen haben sich im Norden des Landes in Wäldern verschanzt. Zur Wandlerin zwischen den Welten ist das Mädchen Ofelia (Ivana Baquero) bestimmt, das seine schwangere Mutter zum Stiefvater, Capitán Vidal (Sergi López), begleitet - eine so eitle wie brutale Herrschernatur, die nur an einem Nachkommen interessiert ist.

Launen eines Fauns

Del Toro führt allerdings nie eindeutig aus, welches Bedürfnis das Tor zum anderen Reich öffnet, sondern stellt dieses ganz selbstverständlich der Realität gegenüber. Eine Gottesanbeterin geleitet Ofelia zur Ruine eines Labyrinths, in gleitenden Kamerafahrten, bis sie einem schillernden Faun (Doug Jones) gegenübersteht, der sie für die verlorene Prinzessin hält. Doch um sicherzugehen, stellt er ihr drei Aufgaben - und es erübrigt sich fast zu sagen, dass nur die Richtige sie auch erfüllen kann.

Die Balance, die in Pans Labyrinth zwischen der imaginären und der realen Welt herrscht, ist beachtlich - wo sich auf der einen Seite ein Mädchen mit Tapferkeit gegen monströse Wesen behaupten muss (und damit Engagement beweisen kann), regiert auf der anderen der blutige Kampf zwischen Faschisten und Widerstand wie auch jener um die Autorität im fragilen Familiengefüge. Obgleich del Toro manche Vereinfachung in der Figurenzeichnung in Kauf nimmt (er schrieb auch das Drehbuch), vermeidet er simple Analogien - die Fantasie erweitert hier die Welt, ahmt sie nicht nach.

Einerlei ob es gilt, einer fetten Riesenkröte einen wertvollen Gegenstand zu entreißen, oder, in einer besonders eindringlichen Sequenz, den üppigen Verlockungen einer Kreatur zu widerstehen, die ihre Augen auf Händen trägt - Pans Labyrinth bewahrt bei aller visuellen Opulenz eine individuelle Note, die den Film von der digital entworfenen Fantasyoptik von Herr der Ringe oder auch Harry Potter stark unterscheidet. Eher drängen sich kunsthistorische Verweise auf: die "Schwarzen Bilder" von Goya, die Höllenszenarien von Hieronymus Bosch, die fließenden Skulpturen eines Matthew Barney.

Im filmischen Bereich hat del Toro, der mühelos zwischen Großprojekten wie der Comic-Adaption Hellboy und persönlichen Arbeiten wie Pans Labyrinth wechselt, gegenwärtig wohl nur in Tim Burton einen Wahlverwandten. Doch wo Letzterer seine fantastischen Geschichten mit Komik anreichert, führt sie del Toro mit großer Ernsthaftigkeit zu Ende: Erst die Gegenwelt versöhnt hier mit den zahlreichen Defiziten der Wirklichkeit. (Dominik Kamalzadeh/ DER STANDARD, Printausgabe, 21.02.2007)