Alasdair Roberts: "The Amber Gatherers" (Drag City/2007)

Coverfoto: Drag City
Alasdair Roberts zählt 29 Jahre. Es könnten auch 523 sein. Oder man stellt ihn sich vor, wie er alterslos durch die Jahrhunderte mäandert. Die Songs des Schotten aus Glasgow sind firm einer Folk-Tradition (minus verzopfter Engstirnigkeit) verhaftet, für die Zeitlichkeit unerheblich scheint. Daran hat sich auch auf seiner vierten Soloarbeit, dem bei Drag City erschienenen "The Amber Gatherers", nichts geändert.

Leben und Tod. Finden und Abschied nehmen. Freud und Leid. Die Existenz und das Fertigwerden der Hingeingeworfenen mit ihr: ein Kontinuum für das konkrete Historie bloß Beiwerk abgibt, ihre Substanz aber nicht ankratzt. Mit manchmal unverholen romantischem Sehnen erzählt der als Sohn einer deutschen Mutter in Schwaben geborene Roberts seine Geschichten. Diese spielen sich allesamt in einer altertümlichen Welt ab, in der es so etwas wie Modernisierung nie geben wird. Und die trotzdem nie altbacken schmecken. Roberts scheint sich dabei auch einem spracharchäologischen Projekt verschrieben zu haben, das die Beschäftigung mit seinen fein ziselierten Texten zum Vergnügen geraten lässt. Den überreichen Mutterboden seines heimatlichen Idioms durchsiebt er mit offensichtlicher Lust an der Suche nach seltenen Gemmen. Und der so gehobene Wortschatz lässt manchmal auch dickbäuchige Langenscheidts alt aussehen.


[MP3] - Alasdair Roberts: Waxwing
[MP3] - Alasdair Roberts: The Old Men Of The Shells

Roberts, der als eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen den Reverend Robert Kirk angibt - einen Feen-Forscher aus den Highlands des 17. Jahrhunderts ("The Secret Commonwealth of Elves, Fauns, and Fairies"), beherrscht sein Metier und dessen Formen souverän. Die dezente, wiewohl voller feiner Kunstgriffe steckende Musik wird getragen von seiner akustischen Gitarre und einem fahl vor sich hin deppernden Schlagzeug. Personal wie Sound seiner kleinen Band gleicht weitgehend dem von "Farewell Sorrow", dem Vorvorgänger von "The Amber Gatherers". Der Barde selbst hält ihn gar für Pop.

Will Oldham (Bonnie "Prince" Billy), Entdecker und Bruder im Geiste, der Roberts' Todesballaden-Album "No Earthly Man" (file under: bleak) produzierte, hat diesmal Pause. Mit ihm und Jason Molina (Songs: Ohia, Magnolia Electric Co.) hatte unser Mann einst auch für die Zeit einer EP das formidabel benannte Trauertrio "Amalgamated Sons of Rest" formiert. Verglichen mit dessen Oeuvre ist "The Amber Gatherers" allerdings tatsächlich mit hoffnungsfrohen Momenten durchsetzt. Prekäre Situationen könnten gemeistert werden, wiewohl das mit leichtem Tremolo hingehauchte: "I have a charm", in der Auseinandersetzung mit dem Höllenfürsten nicht wie ein souveränes "Ätsch!" daherkommt, sondern eher als Pfeifen im Wald.

Die Unterwelt ist übrigens nur eine unter vielen Lokalitäten, die in den Songs eine wichtige Rolle spielen und diese in einer Geographie verorten, die zwar nicht real ist - es aber sehr wohl sein könnte. Was eine reizvolle Zweideutigkeit entstehen lässt. Da gibt es geheimnisvolle Orte wie den "Briar Of Brawn", den "Canyon Of Echoes" oder die "Library Of Aethers" genauso wie die "Heathery Dell" und den simplen "Yonder Hill".

In jedem Song setzt Roberts unterschiedliche Gitarren-Tunings ein, die in den Liner-Notes auch fein säuberlich aufgelistet sind. Eine offenbare Aufforderung an andere, sich das Material zu eigen zu machen und in den unendlichen Folk-Fundus einzuverleiben, aus dem sich ja auch Roberts selbst immer wieder bedient hat. Der Eindruck, dass er als Interpret bescheiden hinter die Lieder zurücktritt und sich ein Aufprägen seiner Persönlichkeit geradezu versagt, scheint insofern nur folgerichtig. Roberts geht in der vielgestaltigen Menagerie der auftretenden Figuren weitgehend auf.

Gerne handelt er kleine moralisierende Gleichnisse in exemplarischen Dialogen ab. Wie in der Fabel "Waxwing", in der ein Gefiederter stolz seiner Gefährtin die unter großer Gefahr aus Lindwurmhöhlen heimgebrachten Geschmeide hinzählt. Die aber kontert dem Schöngeist utilitaristisch trocken: "There is no real beauty in things of no use." Politische Aufgeladenheit oder Kritik der Verhältnisse findet man bei Roberts, dem blassen, schmalen Mann jedoch nicht. Statt Aufbegehren ein Dahintreiben: Sollten sich die Dinge in einer gewissen Richtung fügen, würde man sich einer solchen Entwicklung vermutlich nicht verschließen. In "Where Twines The Path" etwa, das dem zauseligen Hinterwäldler-Prinz Oldham zur Zier geraten würde, überlässt es der durch die Unwirtlichkeit des "tornadischen Arkansas und Alabama" stolpernde Erzähler dem beschrittenen Pfad, doch so gut zu sein und ihn zurück ins gute alte England zu führen. Dorthin wo fröhlich die Hirsche brüllen.

Das Hinnehmen des Unausweichlichen, Naturgegebenen, wie der in allen Dingen immer schon angelegten Vergänglichkeit, findet sich als ein wiederkehrendes Motiv: "I can do nothing but fly in the wake of my kin." Herzzerreißend ist das, aber auch voller Würde. Und furchtbar. Beinahe verzweifelt versucht sich in "The Cruel War" Einer zur Kampfbereitschaft zu zwingen - etwas, das ihm trotz aller durch den Feind erlitten Verletzungen - sogar die Frau wird ihm geschwängert - in jeder Faser fremd ist. Doch ein kühler Einflüsterer weiß, es wird sein wie es immer war: "You will be ready." (Michael Robausch)