Gemeinsam trinken, schnorren oder einfach "abhängen": Die Mariahilfer Straße und ihre U-Bahn-Stationen sind dafür bekannt, wichtige soziale Treffpunkte der Wiener Streetpunk-Szene zu sein.

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Wien - Junge Menschen mit schrägen Klamotten, bunten Haaren, Nietengürtel und Bierdose in der Hand: Auf der Mariahilfer Straße, einer der beliebtesten Einkaufsmeilen Wiens, sind sie bereits fixer Bestandteil des Alltagsbildes. Von Passanten werden sie meist nur mehr dann wahrgenommen, wenn sie schnorren oder die Hunde zu laut bellen.

Wenn es um die Nutzung des "öffentlichen Raums" geht, kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Punks und Passanten. Die Situation zu verbessern ist das Ziel des Streetwork-Projekts aXXept.

Dessen Sozialarbeiter Joachim Lindauf beschäftigt sich seit zweieinhalb Jahren mit dieser Straßenszene. "Wir sind für die kleinen Probleme der Punks zuständig. Wenn jemand seine Ausweise verloren hat oder es Schulden gibt, bei Problemen mit den Hunden, der Polizei oder den Wiener Linien", beschreibt Lindauf seine Tätigkeit.

"aXXept vermittelt bei Konflikten im öffentlichen Raum und sorgt so für ein besseres Klima zwischen den betreffenden Menschen", heißt es auf der Homepage des Vereins Wiener Sozialprojekte.

Hans* (23), der sich selbst eigentlich nicht als Punk, sondern als "autonomen Freidenker" bezeichnet, schildert seine diesbezüglichen Erfahrungen: "Es wird oft die Polizei gerufen, wenn wir hier herumstehen und schnorren. Aber wenn ich um Kleingeld frage, nehme ich niemandem etwas weg - es ist seine Entscheidung, Ja oder Nein zu sagen."

Die meisten finanzieren ihr Leben mithilfe von Arbeitslosengeld, einige wenige haben einen Job. Mit Schnorren kämen, so Hans, im Winter höchstens 20 Euro pro Tag zusammen. An einem guten Sommertag dagegen seien es schon mal bis zu 60 Euro.

Wer, was und wie "Punk" ist, lässt sich schwer bis gar nicht festlegen. Obwohl man damit üblicherweise eine Jugendgruppe mit bestimmtem Musikgeschmack, Modestil und politischen Einstellungen assoziiert, wehren sich viele gegen diese Art von "Schubladendenken".

Bezüglich des Weges in die Streetpunk-Szene konstatiert Joachim Lindauf nüchtern: "Aus geordneten elterlichen Verhältnissen kommen die wenigsten." Amelia* (16), an der außer blassrosa Haaren sonst kaum etwas "punkig" wirkt, hat selbst erfahren, was dieser Satz bedeutet. "Da gab's ziemlich arge familiäre Probleme. Seitdem bin ich dann nicht mehr richtig in die Schule gegangen und habe mich nur mehr um meine Schwestern gekümmert. Ich habe mich so oft mit meiner Mutter gestritten, dass sie mich immer wieder rausgeschmissen hat. Mitten in der Nacht." Eine "No future"-Einstellung ist bei Amelia trotzdem nicht zu erkennen. "Ich denke, dass ich nächstes Jahr wieder versuchen sollte, in die Schule zu gehen - vielleicht in eine Falknerschule, das sind meine Lieblingstiere." Von Junkies abgrenzen

Ihre Zeit verbringt Amelia derzeit auf der Mariahilfer Straße; oder sie reist herum - überhaupt ist die Mobilität und Reiselust in der Szene sehr groß. "60 Prozent der Leute hier sind Wiener," schätzt Hans, "der Rest international."

Während Alkohol die gängigste Droge der Szene ist, "wollen sich die meisten sehr abgrenzen von Heroin und Spritzen" und "nichts mit den klassischen Junkies zu tun haben", erklärt Lindauf. Die negativen Folgen von Drogenkonsum, fehlender Hygiene und mangelnder Gesundheitsversorgung seien nach einigen Jahren deutlich sichtbar, außerdem sind "viele nicht versichert und können oder wollen nicht zu Ärzten gehen." Ihr Hund, für viele treuer Freund und wichtigster Bezugspunkt im Leben, genießt dagegen Sonderstatus. "Der Hund geht vor der eigenen Gesundheit, vor Freunden, vor allem. Sie selbst gehen nicht zum Arzt, aber der Hund wird geimpft und bekommt seine Medikamente", weiß Streetwork-Kollegin Sabina Litschauer.

Unpassende Angebote

Hunde sind in diversen Notquartieren meist verboten - ein Grund von vielen, warum diese Übernachtungsmöglichkeit so gut wie nicht genutzt wird. "Die Angebote der Wohnungslosenhilfe sind nicht adäquat, weil sie einfach nicht zum Lebensrhythmus der Punks passen", erklärt Litschauer. Man müsse bereits um sechs Uhr abends im Quartier sein und es in der Früh wieder verlassen - für Menschen mit unregelmäßiger Tagesgestaltung keine Option.

Schlafmöglichkeiten finden die meisten daher in privat organisierten Quartieren, in der Obdachlosenunterkunft "Gruft" oder im Ernst-Kirchweger-Haus im 10. Wiener Gemeindebezirk.

Wunschtraum wäre eine "Punkhütte" in Form eines kostenlosen leer stehenden Hauses als Lebensraum zur freien Gestaltung. Seit mehreren Jahren wird bereits mit der Gemeinde Wien darüber verhandelt.

SPÖ-Jugendsprecher Jürgen Wutzlhofer, dessen Partei im Gemeinderat die absolute Mehrheit stellt, ist "sehr zuversichtlich, dass wir bis zum Sommer eine Lösung finden". Bei Hausbesitzern und Bezirksverantwortlichen gäbe es allerdings eine "Reserviertheit" bei der Suche nach dem passenden Objekt. Die Hausbesetzungsaktionen, mit denen die Punks ihrer Forderung immer wieder Nachdruck verleihen, "führen vonseiten der Stadt keinesfalls zu einem Abbruch der Gespräche", beteuert Wutzlhofer. Es werde "konstruktiv gesucht". Sein Resümee: "Eigentlich läuft die Kooperation sehr gut." (Romana Riegler/DER STANDARD Printausgabe, 27. Februar 2007)