Die Sinnlichkeit der großen Küchen des Orients wird in dem Prachtband "Arabesque" von Claudia Roden wunderbar eingefangen.

Foto: S.Christian Verlag

Die Rezepte, etwa mit Kräutern gefüllte Rotbarben, pikanter Orangen-Oliven-Salat oder Köfte mit Joghurtsauce sind raffiniert und verblüffend einfach nachzukochen - ganz große Empfehlung!

Foto: S.Christian Verlag
Foto: S.Christian Verlag
Meine wunderbaren Gastgeber, all die guten Menschen, die mich in den Ländern des Maschrek und des Maghreb bewirtet und bekocht haben, mögen es mir verzeihen, aber Claudia Roden hat schon Recht: Es gibt drei große Küchen östlich des Naschmarkts und südlich von Sizilien: die marokkanische, die türkische und die libanesische. Von der persischen nehmen wir jetzt einfach einmal an, die liegt zu weit nördlich für das neue Roden-Buch "Arabesque" (das ganz neu nicht ist, aber ab Ende des Monats in der deutschen Übersetzung vorliegt). Wobei die türkische, besser gesagt osmanische Küche, früher neben der französischen und der chinesischen als eine der drei großen Küchen der Welt genannt wurde, was man sich heute, wenn man mit Kebabs übelster Art traktiert wird, oft nicht mehr vorstellen kann.

Verstehen, was hinter dem Essen liegt

Aber der Reihe nach: Claudia Roden weiß, wovon sie spricht, denn sie ist in Kairo geboren, wo man durchaus gut essen kann, was aber noch keine große Küche ausmacht. Bei Rodens, die als Juden Ägypten 1956 verließen, wurde zu Hause wahrscheinlich ohnehin anders gekocht: Eine Großmutter stammte aus Istanbul, ein anderer Teil der Familie stammte aus Aleppo in Syrien. Im Exil lernte Roden auf dem Umweg über das Essen, Kochen, Rezeptesammeln, ihre emotionale Verbindung zum Orient aufrechtzuerhalten. Sie einfach als Kochbuchautorin oder auch als die Expertin für die nahöstliche Küche zu bezeichnen, ist eine unzulässige Verkürzung. Claudia Roden versteht auch, was hinter dem Essen liegt, Identität, Ideologie, Macht. Essen "hat eine Sprache", schreibt sie im Vorwort zu "A Taste of Thyme. Culinary Cultures of the Middle East", wo sie mir zum ersten Mal untergekommen ist.

Aber hier sollen wir uns vor allem über ein schönes Buch freuen, das man lesen und aus dem man kochen kann. Wie schon gesagt, drei Länder, wobei die Türkei ja sozusagen auf der Strecke in den Libanon liegt, was auch kulinarische Folgen hat. Marokko ist anders. Da müssen wir in den Norden schauen, nach Spanien, beziehungsweise den dort 1492 hinausgeworfenen Mauren, den "Andalusiern" folgen, die mit ihrem multikulturellen Package eine kulinarische Revolution mit nach Hause brachten. Wer an marokkanische Küche denkt, der hat duftende Tagines, raffiniert gewürztes Couscous, gezuckerte Tauben-Pastilla vor Augen und Nase. Überhaupt ist die Süßsauer-Kombination, meist erreicht durch die Vermählung von Fleisch und Obst, neben den Gewürzmischungen "typisch marokkanisch". Über die soziale Bedeutung von Couscous ist schon viel geschrieben worden, die Speise des Lebens und des Todes, nicht nur in Marokko, sondern auch in Algerien (wo es sich aber nicht so sophisticated gewürzt präsentiert).

Eigener Stand der Köche

Aber wir springen nach Istanbul, wo die osmanische Palastküche kompliziert und pompös daherkam, der man sich heute aus lobenswerten Gründen des kulinarischen Tourismus wieder besinnt. Sie hatte einen eigenen Stand der Köche kreiert, der sich jahrhundertelang aus der Region Bolu speiste, eine Tradition, die bis heute anhält. Angeblich hat auch die strenge Hierarchie in türkischen Küchen überlebt. Die starke Spezialisierung in Essensbereitung und -vertrieb ist ebenfalls ein Erbe der osmanischen Paläste, wo spezialisierte Köche immer nur ein gewisses Gericht herstellten, kein Suppenkoch machte Kebab, kein Lahmacun-Koch bereitete Baklava zu und so weiter. Noch heute findet man diese spezialisierten Restaurants (bei meinem letzten Besuch in Istanbul ging ich in eines, das nur ein einziges Gericht – allerdings ein urpersisches: Kalle-Patsche, Schafsköpfe und -füße in der Suppe – herstellte.)

Bei der türkischen Meze-Kultur sind wir natürlich schon auf dem Weg zu den libanesischen Mezze: Wem ist es noch nicht passiert, dass er nach den wunderbaren Vorspeisen-Paletten ganz einfach nicht mehr konnte, nicht einmal bei gleichzeitiger genügender Zufuhr von Raki beziehungsweise Arrak? Der Libanon ist ja überhaupt ein kulinarisches Traumland, wo die Küchen der vielen durchziehenden Völker und Eroberer, aber auch die Geographie des Landes – Küste, Berge, fruchtbare Ebenen – zu einer Vielfalt in einer Küche führten, die nicht ihresgleichen hat in viel größeren Ländern. So haben etwa die strengen Fastenregeln der libanesischen Christen eine fabelhafte vegetarische Kultur entstehen lassen. Um aber auf den Ausgangspunkt zurückzukommen, die libanesische Küche ist die beste, die Gastfreundschaft ist jedoch in der ganzen Region, die sich momentan in so einem beklagenswerten Zustand zeigt, überwältigend. (Gudrun Harrer/Der Standard/rondo/02/03/2007)