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Der plüschfarbene Plastikhimmel überzog sich mit schwefelschwarzem Schleim an jenem lauen Spätnachmittag, an dem die Popkultur ihre Unschuld verlor. Noch im jungfräulichen Zustand ihrer Entstehung bohrte sich ein Stachel in ihr rein weißer als rein weißes Herz und injizierte ihr den Keim des Bösen, der als permanenter parasitärer Begleiter ihre Organe nie wieder verlassen sollte. Der Akt der gnadenlosen Defloration eines gesellschaftlichen und kulturellen Traumes fand bereits 1942 statt, als besonders grausame Schurken in ein Paradies eindrangen und ein hinterhältiges Massaker anrichteten. Gemeint ist nicht der zweite Weltkrieg, sondern der Abschuss eines Weißwedelhirsches in Walt Disneys animalischem Animationsstreifen "Bambi".Millionen von Augen entsprangen Sturzbäche des Schmerzes, als menschliche Jäger mit dem Mord an Bambis Mutter das schleichende Gift der Dunkelheit in den luziden Kitsch unseres Poptraumes trugen.

 

Während Millionen Menschen von Menschenhand vernichtet werden, fliehen Millionen (andere) Menschen in die Kinos, um sich in eine irreale Welt von Trickfilmtieren zu träumen. Anders als in der literarischen Vorlage des österreich-ungarischen Schriftstellers Felix Salten namens "Bambi, ein Leben im Walde", wo die Tierwelt noch die Projektion einer "fabelhaften" gesellschaftlichen Utopie ist, und der Mord an Bambis Mutter etwas von einem Akt militanter staatlicher, gesellschaftlicher Repression hat, verkommen die Disney‘schen Plastikhirsche zu einem Spiegelbild eines gesellschaftlichen Mainstream-Erlebnismodells, und der Mord gerät zu einem subversiven Anschlag auf sein irreales Wertesystem.

Der terroristische Akt des Eindringens in den billigen Traum eines gesellschaftlichen Leitbildes aus Lüge und Konsum, und die Schändung der schützenden Mutter des gesellschaftlichen Hoffnungsträger-Fetisches Bambi, sind der Keim der Pop-Gegenkultur. Der "11.September" 1942 ist der Tag, an dem der Mainstream des Pop das rituelle Bild seines Unschuldsverlustes, seiner Angreifbarkeit und seiner Schwäche selbst erschaffen hat. Heerscharen von Pop-Ikonoklasten haben dieses Bild verinnerlicht und zur Jagd (game) auf die "heiligen" Symbole des Pop und seiner Gesellschaft geblasen, sie zu ihrem Freiwild (un-protected game) erklärt, um ihre Giftpfeile in die warmen, plüschigen Bambikehlen abzufeuern, in der Hoffnung ihre Hufe zu lähmen. Das wundersame Reich der Hirsche im Bambiland ist nur ein gesellschaftliches Spiel, ein Spiel aus Regeln mit Lügen, versehen mit Projektionen, Irrationalismus, Mythos und Religionen. Je besser die Ästhetik einer Spielstruktur mit all ihren bewusst eingebauten irrationalen Elementen und ihrem durchdachten Regelwerk ist, desto lieber versenken wir uns in unseren "hopeless little screens" (Leonard Cohen) unserer Konsolen und strecken die bösen Monster nieder, um mit möglichst geringem Lebensverlust neue Levels zu erklimmen. Je besser das Design eines gesellschaftlichen Systems ist, desto leichter fällt es uns, den Hahn zur Gaskammer zu öffnen, desto leichter fällt es uns, die schwarze Parallelwelt auszubeuten, zu versklaven und dann verhungern zu lassen, desto leichter fällt es uns, uns in der Öffentlichkeit in die Luft zu jagen, weil da oben bei Gott ein fettes Bonusleben wartet.

Da das Design unseres Spieles "Zivilisierte Gesellschaft" dank seines "Pluralismus-Tool" ein besonders verheerendes weil gutes ist, wurde sogar bedacht, dass es Jäger unter uns gibt, die die Regeln verletzen – ja neue erfinden. Keine Sorge, auch dafür gibt es bereits Regeln. Wie beim Foul im Fußball rechnet man auch hier mit dem Verstoß gegen Regeln, es ist sogar erwünscht, weil dadurch immer neue Regeln angewandt werden können und bald niemand mehr nicht mitspielen kann, repressive Toleranz, protected game! Subversion und Terror haben mittlerweile einen festen Platz in unserer Popgesellschaft, die von Disneys Bambimord gelernt hat. Wer hätte sich denn jemals "Bambi" angesehen, wenn seine Mutter nicht getötet worden wäre? Oder besser gefragt: braucht das verheerende Spiel des Gesellschaftssystems gar den Regelbruch, um sich an dem inneren Feind parasitär labend, noch zu stärken?

Das donaufestival 07 unter dem Motto "unprotected game s" versucht, ohne jeden Anspruch auf die kitschige Utopie der Veränderung, die Innen- und Außensicht von (gesellschaftlichen) Spielsystemen zu verwirren, am schmalen Grat zwischen Virtualität und Realität die Positionen zu wechseln und ein riskantes Match von Umwertung und anarchischer Freiheit zu simulieren. Ob Performance, Medienkunst, Kunstspiel oder musikalisches Statement: Das donaufestival wird in nicht ungewohnter, wenngleich forcierter Form zur Plattform der Pop- Ikonoklasten, der skrupellosen Wilderer im Bambiland, ob als Protagonisten oder als Voyeure, oder beides in Personalunion.

Also: Machen Sie Ihr ungeschütztes Spiel!(Tomas Zierhofer-Kin)