Madonna in einem ihrer H&M Stücke

Foto: H&M

Der Standard: Wird es eigentlich bald eine Tocotronic- Kollektion geben?

Dirk von Lowtzow: Sicherlich nicht. Aber es fällt natürlich auf, dass das ein einträgliches Geschäft ist. In Zeiten zurückgehender Plattenverkäufe probieren es die Popkünstler mit Mode. Dafür gibt es ja viele Beispiele: Puff Daddy, Jennifer Lopez, Gwen Stefani.

Der Standard: Und nun also Madonna.

Dirk von Lowtzow: Sie erfindet hier aber nicht unbedingt das Rad neu. Man sagt ja von ihr, dass sie Trends gut erkennt, das trifft auch bei den Kleidern zu, das sind ja alles Sachen, die ohnehin gerade in sind, soweit ich das sehe: zum Beispiel dieser Reiterlook mit den engen Dreiviertel-Hosen und den hohen Stiefeln.

Der Standard: Vor etwas mehr als einem halben Jahr hat Madonna für H&M noch einen Trainingsanzug entworfen.

Dirk von Lowtzow: Das ist ja gerade das Tolle an ihr. Sie folgt immer ihrem eigenen Begehren, ihren eigenen Wünschen, die merkwürdigerweise auch den Wünschen des Publikums entsprechen. Wenn sie eine Aerobic-Platte machen will, dann trainiert sie eben wie wild und zieht rosa Bodys an. Bei der Kollektion geht es anscheinend wieder mehr um die Femme fatale. Sehr klassisch, schlicht, keine knalligen Farben. Glamour für die kleine Geldbörse.

Der Standard: Dass Madonna - auch über die Kleider, die sie trägt - mit Identitäten spielt, galt lange nicht nur als modisches, sondern auch als politisches Statement. Trifft das eigentlich überhaupt noch zu?

Dirk von Lowtzow: Es gibt gerade heutzutage wieder einen wahnsinnig starken Ruf nach Authentizität. Man soll zeigen, wer man wirklich ist, im Bewerbungsgespräch, im Fernsehen, überall. Man soll zu sich stehen und immer ganz wahrhaftig sein. Genau das hintergeht Madonna, weil sie mal als Cowgirl auftritt, mal als Dance-Queen oder Vamp. Das finde ich also immer noch ganz aktuell.

Der Standard: Aber?

Dirk von Lowtzow: Diese ständigen Rollenwechsel, die Madonna vorlebt, werden ja mittlerweile auch vom ganz normalen Angestellten gefordert. Man soll ja merkwürdigerweise einerseits authentisch sein, und dann andererseits auch noch die verschiedensten Situationen meistern, das Dinner beim Chef genauso wie das Überlebenscamp. Man muss in unterschiedlichen Berufen brillieren, je nachdem, was gerade gefragt ist. Einerseits hat diese ständige Selbsterschaffung also immer noch ein emanzipatives Potenzial. Andererseits entspricht sie den Erfordernissen des Marktes und folgt einem Verkaufsprinzip, wie man jetzt ja auch bei der H&M-Kollektion sehen kann.

Der Standard: Madonnas Marketing-Tool ist seit jeher ihre ständige Verwandlung. Das schafft Spannung. Die Zuschauer fragen sich: Was kommt als Nächstes?

Dirk von Lowtzow: David Bowie, um nur ein Beispiel zu nennen, macht das ganz ähnlich. Es gehört überhaupt zum Privileg des Solokünstlers, sich saisonal verwandeln zu können. Das hat er mit dem Modeschöpfer gemeinsam, der ja auch ein- oder zweimal im Jahr eine ganz neue Kollektion entwerfen muss.

Der Standard: Woher kommt diese Nähe von Mode und Pop?

Dirk von Lowtzow: Pop funktioniert nicht nur über einen guten Song, sondern über das Gesamtkunstwerk des Künstlers oder der Band. Es geht auch darum, wie man aussieht, wie man sich präsentiert, und dabei spielen Kleider nun einmal eine große Rolle. Außerdem haben ja schon spätestens seit den 1960er-Jahren Modeschöpfer die Nähe zu Bands gesucht. Yves Saint-Laurent wollte, anders als seine Schneider-Kollegen, richtig im Rampenlicht stehen. Und Karl Lagerfeld ist heute genauso ein Star wie Madonna.

Der Standard: Auch Tocotronic haben ja einen eigenen Stil geprägt.

Dirk von Lowtzow: Ich kann mich an ein Konzert als Vorband in Wien erinnern, ganz am Anfang, da haben uns die Leute angestarrt, als ob wir aus einem Comic gefallen wären. Wir haben uns damals möglichst bescheuert angezogen. Himmelblaue Cordhosen mit Schlag, T-Shirts mit Fanta-Werbung. Da war ein Statement gegen dieses ganze ehrliche Rock-Macho-Gehabe mit Nieten, Lederjacke und Jack-Daniels-Shirt. Wenn einer von uns damals auf dem Flohmarkt eine senfgelbe Trainingsjacke mit braunen Streifen gefunden hat, war er absolut glücklich, weil es hässlicher ja gar nicht mehr ging. Wir sind eigentlich die wahren Vorbilder von Designern wie Bernhard Willhelm.

Der Standard: Unfreiwillig hat Tocotronic sogar auch mit H&M kooperiert, wo es plötzlich die gesamte Toco-Garderobe zu kaufen gab.

Dirk von Lowtzow: Als uns bei Auftritten plötzlich hunderte Leute gegenüberstanden, die so aussahen wie wir, hat unser Modewitz nicht mehr funktioniert. Plötzlich galt unser Stil als besonders authentisch. Dabei ging es ums Gegenteil. Wir haben dann erst mit Anzügen herumexperimentiert, jetzt sind wir bei einem undefinierten Understatement angelangt, jeder schaut ein bisschen anders aus: Ich persönlich bin zum Beispiel ein großer Fan der so genannten "Antwerpener" Schule, von Designerinnen wie Veronique Branquino.

Der Standard: Die typische Indie-Band, Franz Ferdinand oder Pete Doherty lassen sich zurzeit aber lieber von Hedi Slimane ankleiden.

Dirk von Lowtzow: Diese Uniformen finde ich ziemlich langweilig: Retro-Anzüge und Retro-Musik, das ist mir zu eins zu eins, zu überdeterminiert und ernst, das finde ich weder originell noch lustig.

Der Standard: Ein typisches Argument gegen H&M lautet ja, dass man dort auch nur Uniformen bekommt und das dann wiederum Individualität verhindert.

Dirk von Lowtzow: Diese Kämpfe hatten wir aber schon als Kinder mit den Eltern, als wir nicht Jeans und Parka tragen durften, weil wir dann wie tausend andere angezogen gewesen wären. Die Idee, die dahinter steht, ist übrigens schon wieder so ein Authentizitätsterrorismus. Tatsächlich ist es aber völlig in Ordnung, so auszusehen wie andere. Das Spannende an Mode ist ja ohnehin, dass sie uns nicht anderen gleich macht, sondern uns selbst verändert. Man tritt in Stiefeletten einfach ganz anders auf als in Sneakers, fühlt sich im Pulli anders als im Jäckchen. Und diese Erfahrung kann man vermutlich sogar mit der Madonna-Kollektion machen. (Jakob Schrenk/Der Standard/Rondo/09/03/2007)