Wien – Da Pierre-Laurent Aimard nicht nur ein idealer Anwalt alles Zeitgenössischen, sondern auch ein kluger Kopf voller Programmideen ist, versprach die Entscheidung, ihn mit der Gestaltung eines eigenen Zyklus zu betrauen, aufschlussreiche musikgeschichtliche Perspektiven. Bei Wien Modern hatte er solche rund um György Kurtág auf stringente Weise aufgezeigt.

Nun nahm sich der Pianist bei "Wegen zu Charles Ives" anhand der Stationen Haydn, Mozart, Wolf und Webern gut anderthalb Jahrhunderte ins Visier und hatte dazu die zuletzt als Salzburger Cherubino in Mozarts Figaro reüssierende Sopranistin Christine Schäfer auf eine abenteuerliche Zeitreise eingeladen.

Während Mozarts chromatisch-abgründiges h-Moll-Adagio als Bindeglied zwischen Haydn und Hugo Wolf fungierte und die Maschinenmusik des F-Dur-Orgelwalzen-Andante (KV 616) eine augenzwinkernde Nahtstelle zu Ives' Blaskapellenderbheit bildete, zeigte sich auch, dass selbst Ausnahmekünstler nicht überall gleichermaßen firm sein müssen. Denn obwohl Aimard mit seinem einzigartigen Sensorium auch im klassischen Repertoire jene absolute momenthafte klangliche Präsenz realisiert, mit der er serielle Partituren zum Leuchten bringt, vernachlässigt er auch dort die feingliedrigen Energieverläufe Haydns und Mozarts, wo sie ohnehin vom Pedal verdeckt werden.

Währenddessen wirkte auch Schäfer bei Haydn noch stimmlich schwer und ihre Interpretation so einförmig-flach, als sänge sie die Lieder zum ersten Mal. Bei Wolf allerdings fand sie zu voller Differenzierung und Präsenz, mithin auch gestalterischer Tiefe, erst bei Anton Webern allerdings zu leichter, klarer Linienführung und ihrer wunderbaren instrumentalen Helle. Darin ist sie zurzeit unübertrefflich.

Und der Pianist, der bei Wolfs Feuerreiter sogar korrepetitorenhafte Routine verbreitete, verlieh erst Webern jene Transparenz, die man von ihm gewohnt ist, lief aber erst bei Ives zur Höchstform auf, ist er doch prädestiniert dafür, das darzustellen, was da an Divergentem zugleich oder in unmittelbarer Nachbarschaft vor sich geht. Kurios, dass diese Lieder aus den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts 2007 immer noch Unruhe im Publikum und sogar türenschlagenden Protest auszulösen vermögen ... (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.3.2007)