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Thomas Quasthoff schätzt Detailarbeit: "Bei der Jazz-CD gab es 40 bis 60 Takes pro Song."

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Wien - Manch kostbare Stunde hat der Musikverein diesem singenden Erzähler zu verdanken: Thomas Quasthoff, Jahrgang 1959, verschmolz das schöne Dunkel seines Baritons mit dem Schaurigen von Schuberts Winterreise, umhüllte auch Mahlers Rückertlieder mit Poesie. Doch dass man nun für sein Gastspiel nichts anderes als die Fortsetzung der stilbewussten Magie mit jazzigen Mitteln prognostiziert, ist nicht zu erwarten gewesen. Und doch logisch und ganz risikolos - denn es gibt nun das Jazz Album.

Es ist dies eine Ausnahme, Genrewechsel tönen ja in der Regel wie ästhetische Verirrungen. Geiger Nigel Kennedy scheitert seit Jahren am Jazz, steht in jener Tradition der Verkrampfung, deren Teil letztlich auch der große Friedrich Gulda war. Es ließ sich aber auch bei Jessye Norman (Gospels) und Bryn Terfel (Musicals) studieren, dass Crossover nur stilistische Unbedarftheit decouvriert. Anders bei Quasthoff: kein Vibrato, kein Outrieren, makellose Phrasierung, Relaxtheit und die Lyrik dieser Stimme - stilvoll dezent im Dienste von Balladen.

Quasthoff, seit ewigen Zeiten mit Jazz befasst, hätte schon früher seine "andere" Seite auf CD gebannt: "Die Deutsche Grammophon hat sich gescheut, da war schon Überzeugungsarbeit zu leisten. Es ist für mich aber gar nicht so ein großer Unterschied zur Klassik. Man muss der Musik nur gerecht werden, die Stimme anders benutzen, andere Klangfarben einsetzten. Ich improvisere auf der Aufnahme gar nicht, wir wollten einen sanften Übergang schaffen, den Hörern nicht mit dem nassen Lappen vors Gesicht schlagen!"

Jazz-Profi wollte Quasthoff, ein Contergan-Opfer, nie werden: "Wenn man zwei, dreimal in Jazzclubs gespielt und erlebt hat, dass da 15 Leute sitzen und von denen auch nur vier zuhören - das war nicht mein Lebenswunsch. Ich glaube, ich bin in der Klassik gut aufgehoben." Allerdings: Obwohl mit "13 meine Begabung evident wurde", war es ob der Behinderung alles andere als leicht, in der Klassik Fuß zu fassen. An der Musikhochschule Hannover wurden er einst abgewiesen - mit der Begründung, er könne nicht Klavier spielen ...

Das Unfassbare ist Geschichte. Quasthoff, der einst Jus studierte und auch Rundfunksprecher war, ist etabliert, von gewissen Dingen wie Oper etwa, will er gar Abschied nehmen. "Ich bin nun verheiratet, ich will in der Familie nicht nur die Gastrolle einnehmen. Ich habe auch nicht diesen Anspruch von Dietrich Fischer-Dieskau, alles, was an Liedern stimmlich infrage kommt, aufzunehmen - dafür liebe ich den Beruf nicht genug." Und Oper ist nun einmal zeitaufwändig: "Der Parsifal in Wien war toll, aber eine der schwierigsten Situationen in meinem Leben. Meine Mutter lag fast eine Woche lang im Koma, ich konnte nicht weg, mir ging es schlecht." Auch Aufnahmen sind nicht gerade zeitsparend: "Da gab es bei der Jazz-CD pro Song 40 bis 60 Takes, man feilte an Details, an einzelnen Worten. In der Klassik arbeite ich anders, etwa bei Schuberts Schöner Müllerin. Da sang ich den Zyklus zweimal durch, danach machte ich Pause, bis wir dann pro Lied zwei drei Takes gemacht haben."

Rätsel Abbado

Mitunter geht es auch viel schneller: "Mit Dirigent Christian Thielemann, bei der Arien-CD, haben wir das einmal durchspielen - und fertig!" Es gibt allerdings bei der Zusammenarbeit keine eindeutigen Regeln. "Claudio Abbado etwa ist ein Rätsel. Bei Proben hat man das Gefühl, es würde Chaos herrschen. Er wird selten konkret, und dann steht beim Konzert ein Mensch neben mir, der explodiert, und ein ganzer musikalischer Mikrokosmos wird verständlich." (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12. 3. 2007)