Kollmayergasse: Die beiden unterschiedlichen Nutzungen bleiben ablesbar.

Foto: Atelier Wimmer
"Der Bruch mit der Organisation der Arbeit hat eine unaussprechliche Wirrnis geschaffen und ein Problem aufgeworfen, an dessen Lösung bis jetzt nur herumgepfuscht worden ist", heißt es in §41 der Internationalen Charta von Athen aus dem Jahre 1928, "daraus entstand das große Übel unserer Zeit: das Nomadentum der Arbeiterbevölkerung."

Schon vor achtzig Jahren hatte der CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture) in seiner Charta festgestellt, dass sich die Beziehung zwischen dem Wohnen und dem Arbeiten im Umbruch befindet. Damals bezeichnete man das aufkommende Modell der Funktionsdurchmischung als "nicht mehr normal".

Mittlerweile ist das große Nebeneinander des Wohnens und Arbeitens Bestandteil des mitteleuropäischen Alltags. Nicht nur die jungen Selbstständigen nisten sich immer öfter zu Hause ein, auch schon so manch Angestellter flüchtet an quirligen Tagen in die stille Einöde der eigenen vier Wände. Mit den globalen Werkzeugen namens Mobiltelefonie und Internet stellt dies in der Regel kaum mehr ein Hindernis dar.

Verhältnis ändert sich

Das Wohnverhalten habe sich geändert, sagt Architektin Elsa Prochazka, und auf diese Umständen müsse nun die Architektur reagieren. "Ich persönlich habe mit dem Wohnen und Arbeiten unter einem Dach nur die besten Erfahrungen. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich kein Problem damit habe, die beiden Bereiche mental voneinander zu trennen." Doch auch Prochazka weiß, dass dies nicht auf alle zutrifft. Und deshalb sei es wichtig, dem Publikum eine mögliche Trennung zwischen dem Privaten und Beruflichen vorzuschlagen. In ihren Wohnbauten in der Attemsgasse in Wien Donaustadt und auf dem Monte Laa können zur Wohnung jeweils externe Arbeitsräume zugemietet werden. Eine Trennung sei insofern wichtig, als gewerbliche Flächen anders berechnet werden als der geförderte Wohnbau.

Auch Architekt Albert Wimmer, der derzeit mit Großprojekten wie Nordbahnhof und Hauptbahnhof Wien auf sich aufmerksam macht, erinnert sich zurück: "Aufgewachsen sind wir ja mit den Schlagworten der Flexibilität und Präfabrikation. Ich habe mich in meinen Wohnbauten daher immer um einen Mix an unterschiedlichen Wohnformen bemüht." Das erste externe Arbeitszimmer aus der Feder von Wimmer gab es bereits in den Achtzigerjahren in der Wohnbebauung Perfektastraße. Um die Arbeitseinheiten besser zu verkaufen, musste man sie damals noch als so genannten Mehrgenerationenraum bezeichnen.

Sichtbare Unterschiede

Gegenwärtig arbeitet Wimmer an einem Wohnbau in Wien Meidling. Im so genannten "home&office" in der Kollmayergasse bleibt der Unterschied zwischen Wohnen und Arbeiten selbst an der Fassade ablesbar: Hier sind die Räume auf dem heutigen Stand des Bürobaus bis zum Boden verglast, dort gibt es kleinteiligere Fenster und Balkone. Wimmer: "Ich wollte die beiden Bereiche unbedingt voneinander trennen. Früher habe ich selbst in einem Home Office gearbeitet, und ich weiß aus Erfahrung, dass die Nähe irgendwann einmal nicht mehr erträglich ist." Der Vorteil des Wohnhauses in der Kollmayergasse sei, dass die Wegzeit – sofern man überhaupt von einer solchen sprechen kann – auf ein Minimum reduziert ist.

Laut Wimmer ist es unabdingbar, dass innerhalb des Immobilienmarktes völlig verschiedene Formen des Nutzungsmixes angeboten werden. "Ich glaube, dass bestimmte Formen auch nur bestimmte Alters- und Berufsgruppen ansprechen. Das einzige, was man auf alle Fälle vermeiden sollte, sind lauter kleine Einmann-Boxen." Denn wo kein inhaltlicher Austausch möglich ist, könne auch keine Wissensbildung und Wissenweitergabe erfolgen. "Es ist wunderbar, von zu Hause aus zu arbeiten, aber man braucht die Abwechslung." Andernfalls lande man unweigerlich in der Vereinsamung.

Eine Alternative zu den bisherigen Wohn- und Arbeitsstätten des modernen Teleworkers liefert das neue Stadtteilgebiet auf den ehemaligen Kabelwerk-Gründen. Im beinahe städtisch anmutenden Bauareal der Architekten Schwalm-Theiss & Gressenbauer (Bauteil C) wurde die Arbeitsfrage ein bisschen anders gelöst. Die Wohnhäuser selbst beginnen auf einem Plateau im ersten Stock, das direkt erschlossene Erdgeschoß hingegen bleibt dem Arbeiten vorbehalten. "Das Sockelgeschoß konnte nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, so haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und darin Arbeitsflächen eingerichtet", sagt Georg Schwalm-Theiss.

Viele der anmietbaren Arbeitszimmer sind leer stehend. Die vollständige Vermietung werde einige Zeit dauern, erklärt der Architekt, denn noch ist nicht einmal die gesamte Siedlung fertiggestellt, geschweige denn besiedelt. Nicht zuletzt liegt dies sicher an der Tatsache, dass man für die zusätzlichen Räumlichkeiten einmal mehr tief in die Tasche greifen muss. Die vorerst festgesetzten Preise seitens des Bauträgers scheinen die Bewohner nicht vollends überzeugt zu haben. Doch wie heißt es in der Charta von Athen? "Alles ist Bewegung, und das Wirtschaftliche ist niemals mehr als ein Augenblickswert." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.3.2007)