Keine großen Beschuldigungen oder Tränenausbrüche
Heimweh hat eigentlich keine der acht porträtierten Frauen, zu grauenvoll ist ihre Erinnerung an jene Zeit, als Hitler in Wien einmarschierte, an die Wochen und Monate, als sie als Angehörige der Jüdischen Gemeinde erniedrigt und verfolgt wurden. Einige von ihnen schafften es, mit der gesamten Familie zu fliehen, andere wurden als Zwölfjährige mit Kindertransporten verschickt, mussten ihre Eltern zurücklassen, die später in Konzentrationslagern ums Leben kamen. Mirjam Unger nähert sich ihren Interviewpartnerinnen, ohne den Eindruck zu erwecken, nach großen Beschuldigungen oder Tränenausbrüchen Ausschau zu halten. Die Frauen selbst wählen die Bildausschnitte, die sie preis geben wollen.
Sprache ihrer Wahl
Auch sprachlich hat die Regisseurin ihren Interviewpartnerinnen keine Grenzen gesetzt, Englisch und Deutsch vermischen sich, einsprachig sind nur die deutschen Untertitel. Bald wird aber auch hier klar, aus welchen Gründen welche Sprache gebraucht wird. Während Anita Weisbord und ihr Mann so deutsch sprechen, als hätten sie Wien nicht verlassen, weigert sich Rosalie Berezow, geborene Weizberg, Ungers Fragen auf Deutsch zu beantworten. Zu sehr erinnert sie diese Sprache an damals, an die Schreie, die Befehle, die Gewalt.
Erst im Jahr 2001 kam sie zum ersten Mal nach Wien zurück, was dann doch eine "wunderbare Erfahrung" war. Dauerhaft zurückzukehren, ist für keine der Damen eine Option. Sie sind tief in New York verwurzelt, haben Kinder und Enkelkinder, haben in den vergangenen 65 Jahren in den USA eine neue Heimat gefunden. "Wir sind Amerikaner", so der Tenor.
Frauen, denen die Jugend geraubt wurde
Unger zeigt aber auch, dass hinter diesen starken Aussagen auch Wehmut steckt: So filmte sie einige Damen dabei, als sie stolz alte Kassetten oder Schallplatten mit Opern- oder Schlageraufnahmen vorspielten. Aus der Distanz begleitet die 36-jährige Regisseurin die Lebenswelten der Frauen, begleitet sie zum Tennis, zum Bridge-Abend oder zum Yoga. "Vienna's Lost Daughters" zeigt vor allem die Stärke von acht Frauen, denen ihre Jugend geraubt wurde. Zugleich holen sie ihre Kartons aus den Kleiderschränken, wo sie Erinnerungen an damals aufbewahrt haben: den Reisepass mit dem großen, roten "J" für Jude, Gebetsbücher, gewidmete Fotos.
"Ja" zum Überleben