Louise Erdrich:
"Der Klang der Trommel"
Deutsch: Renate Orth-Guttmann. € 20,50/276 Seiten. Eichborn, Frankfurt/Main 2007.

Foto: Eichborn
Louise Erdrich präsentiert in vielen ihrer hochgelobten Werke Teile ihrer Familiengeschichte. Die ist außerordentlich abwechslungsreich und bewegt sich in Paralleluniversen: Als Tochter eines deutschen Auswanderers und einer indianischen Mutter ist sie in der Alten und der Neuen Welt zu Hause.

In ihrem neuesten Roman wendet sie sich den Wurzeln ihrer Mutter zu und entwickelt anhand der Geschichte einer Trommel die vielschichtigen Beziehungen einer in alle Winde zerstreuten Sippe. Diese Trommel, die die Antiquitätenhändlerin Faye Travers auf dem Dachboden eines alten Mannes aufstöbert, ist kein gewöhnliches Musikinstrument. Vor Jahrzehnten unter ganz speziellen Bedingungen gebaut und mit Ritualen umgeben, symbolisiert dieses machtvolle schamanistische Werkzeug nichts weniger als den Kosmos.

In ihr leben Geister, speziell der Geist eines kleinen Mädchens, das einst durch die Ignoranz der Erwachsenen gestorben ist und dessen Knochen im Inneren des Instruments verborgen sind. Diese beseelte Trommel spricht mit so eindringlicher Stimme zu Faye, dass sie nicht anders kann, als die Trommel zu stehlen und zu sich nach Hause zu bringen.

Faye, als korrekte Geschäftsfrau geachtet, erkennt sich selbst nicht wieder, bis sie feststellt, dass diese Trommel mit ihrer eigenen Biografie zu tun hat und sozusagen eine metaphysische Notwendigkeit besteht, sie ihrem Stamm zurückzugeben. Behutsam werden nun die einzelnen Verwandtschaftsbeziehungen entwirrt, die unsichtbaren Linien, die Menschen miteinander verbinden und die ihnen in Zeiten der verlorenen Identität Halt geben. Der Roman handelt von der elementaren Kraft des Verzeihens und davon, wie man durch Verzeihen seine innere Freiheit zurückgewinnt. Er handelt von der Nemesis des Reservats, dem allgegenwärtigen Alkoholismus, vom historischen Leiden der indianischen Urbevölkerung, der allgegenwärtigen Armut und der heilenden Kraft der Trommel. Bestechend ist immer wieder, wie genau und eindringlich Erdrich die Natur beschreibt. Der Ruf eines Vogels, die Netze der Spinnen sind Anlass zur tiefen inneren Lebensfreude. Respekt vor allen Lebewesen prägt ihre Sicht der Natur; das ist keine Attitüde und hat auch gar nichts mit Ethno-Kitsch zu tun. Im Gegenteil: Leute, welche mit aller Macht zu einem "Stamm" gehören wollen, bedenkt sie mit mildem Spott.

Wenn der Nachbar Fayes dauernd auf der Suche nach seinen Ursprüngen ist und, als er etliche Wohnwagen mit dem Markennamen Winnebago überholt, zum Schluss kommt, dass das eine Botschaft sei und er endlich seinen Stamm gefunden habe, ist das ziemlich komisch. Aber die für andere absurde Vision scheint dennoch einen neuen Menschen aus ihm zu machen. Für den einen ist es ein Winnebago, für die Erzählerin ist es ein Rabe, der die Seele der toten Schwester verkörpert. Die Zeichen sind überall. (Ingeborg Sperl/ DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.03.2007)