Ein guter Vertrag ist allemal besser als eine schlechte Verfassung: An diese von Jacques Delors formulierte einfache, aber umso nachhaltigere Formel sollten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union halten.

Diese Woche werden sie sich in Berlin versammeln, um mit schönen Worten das 50-Jahr-Jubiläum der Gemeinschaft und deren Erfolge zu feiern - und mit hehren Vorsätzen eine noch bessere Zukunft zu beschwören. Alle werden geloben, dass es auch eine Lösung für den auf Eis liegenden, an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheiterten EU-"Verfassungsvertrag" geben muss.

Kaum eine der Staatsspitzen wird aber offen aussprechen, woran es bei diesem Vertragswerk von Anfang an gemangelt hat: am Geist, nationale Sonderinteressen zurückzustellen und das gemeinsame, das gemeinschaftliche Interesse ins Zentrum der Gespräche zu rücken. Und am Realismus, dieses Stückwerk nicht auch noch Verfassung zu nennen, was viele Bürger abschreckte. Insofern hat der Chef der Brüsseler Zentralbehörde, José Manuel Barroso, Recht, wenn er im Standard-Interview "einen Mangel an Ehrlichkeit" feststellt, nämlich: Für alles Schlechte werden die EU-Institutionen verantwortlich gemacht, für politische Erfolge aber die nationale Regierung.

Grund für Pessimismus, für eine neue "Eurosklerose"? Nicht unbedingt. Blickt man 20, 30 Jahre zurück, zeigt sich, dass die Gemeinschaft für Erfolge nicht nur gute Ideen brauchte. Es musste auch die personelle Mischung der Entscheidungsträger in den Schlüsselstaaten stimmen, die mutig genug waren, um Zweifler mitzureißen. Das war in den vergangenen Jahren mit einem müden Jacques Chirac in Frankreich, einem kriegsfixierten Tony Blair, einem tölpelhaften EU-Neuling Polen nicht der Fall. Angela Merkel hat diese Tendenz umgedreht. Andere wichtige EU-Länder könnten dieses Jahr auf einen neuen EU-Realismus einschwenken, der uns alle voranbrächte. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe, 19.3.2007)