Ljubko Deresch: Die Anbetung der Eidechse, oder: Wie man Engel vernichtet. Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck. 10,30 €/201 Seiten. edition suhrkamp, 2006.

Tipp
Der Autor liest am Mittwoch (21. 3.) um 19 Uhr mit seiner Übersetzerin in der Hauptbücherei am Gürtel, 7., Urban-Loritz-Platz 2a, aus dem Roman.

Buchcover: suhrkamp
Ein Leben in – und mit den – Widersprüchen einer Übergangsgesellschaft.


Wien – "Wir – die Asse der Nation, wir – die Ärsche der Nation. Es gab uns, es gab eine Ursache, bloß der Auslöser fehlte, eine Kleinigkeit, und wir würden in die Luft gehen wie pures Dynamit." Was wie eine Mischung aus wüster Kolportage und rebellischer Literatur von anno dazumal anmutet, hat erst vor ein paar Jahren ein Teenager aus der Ukraine zu Papier gebracht. Alte Literaturmuster, neu aufgegriffen – zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort. Die Zeilen stammen aus Die Anbetung der Eidechse, oder: Wie man Engel vernichtet, dem Debütroman des Lembergers Ljubko Deresch. "Ich hatte einen Onkel, der ein manischer Sammler von Sciencefiction-Literatur war", erinnert sich der mittlerweile 23-Jährige, der in seiner Heimat bereits fünf Romane veröffentlicht hat. "Vor 1990 waren Bücher dieser Art in der Ukraine nicht zu bekommen, umso größer war der Hunger darauf."

Der Neffe blieb indes nicht bei der Sciencefiction-Schublade stehen. Er hatte mehr Appetit, verschlang als Teenager E. A. Poe, Beat-Literaten und die ukrainischen Postmodernisten, von denen er bis heute besonders Juri Andruchowytsch verehrt. Wie dieser gilt auch Deresch inzwischen über dessen Grenzen hinaus als einer der bekanntesten Autoren seines Landes.

Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die Veröffentlichung der Romane Kult und Die Anbetung der Eidechse, die er im Alter von 17 beziehungsweise 15 Jahren geschrieben hat, im Suhrkamp Verlag. Wie steht er als junger Autor seiner Heimat gegenüber? "Ich fürchte, ich bin wirklich ein ukrainischer Autor", schmunzelt er, "und zwar insofern, als Ukrainer meine Geschichten wahrscheinlich am besten verstehen. Ich beschäftige mich zwar nicht mit Fragen der nationalen Identität, aber mit dem Bewusstsein der Menschen hier. In meinen letzten Romanen besonders mit dem Unbewussten."

Pop und Bösewichte

Auf Die Anbetung der Eidechse, der Titel versteht sich als Tribut an den Lizard King Jim Morrison, hat noch weniger C. G. Jungs Lehre gewirkt als die Musik von Pink Floyd. An der Oberfläche ist es ein klassischer Entwicklungsroman mit Helden, bösen Widersachern, erstem Sex an einem Gebirgssee und psychedelisch-surrealem Anstrich.

Zwei Besonderheiten zeichnen Dereschs Debüt aus: Zunächst das Setting, das er um einige Jahre in die von chaotischen Zuständen bestimmte Ukraine der frühen Neunziger vorverlegt hat. Es herrscht eine von Gewalt und ständiger Angst, aber auch von völliger Gleichgültigkeit gegenüber allem Kommenden gekennzeichnete Atmosphäre, die sich schließlich in einem sehr blutigen Finale entlädt.

Weiters beeindruckt das bereits beim 15-Jährigen unübersehbare Talent dafür, tief ins menschliche Bewusstsein hineinzuleuchten. Vieles in diesem Buch wirkt klischeehaft, manches naiv, und doch überzeugt der Ich-Erzähler (Deresch: "50 Prozent Ich, 50 Prozent, wie ich damals gern gewesen wäre") immer wieder mit höchst präzisen Beobachtungen über den Menschen in Ausnahmesituationen: in Bedrohung, in Liebe, in Rage. Im Gegensatz zu Erzählern aus unseren Breiten hatte der junge Deresch einen nicht zu leugnenden Standortvorteil. Die Anti-Haltung seiner Helden und deren offensives Zurschaustellen durch Outfits und Musik ist bei ihnen nicht leere Pose, sondern zeitigt reale Auswirkungen. Sie bringt sie in Konflikt mit einer lokalen Schlägertruppe, die über Leichen geht. Wo hiesige Junggenies wie Benjamin Lebert schnell wieder in Pathos und Kitsch versanken, haben Dereschs Texte genug Dreck und Gewalt inhaliert, als dass ihnen ein ähnliches Schicksal drohen würde. Insofern bleibt zu hoffen, dass auch seine drei bislang unübersetzten Romane bald auf Deutsch vorliegen.

Nur eines scheint rätselhaft. Warum hat Deresch in den letzten Jahren ausgerechnet ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert? "Um in der Ukraine zu überleben, muss man die Gentleman-Grundausstattung drauf haben", sagt er. "Das heißt: Wirtschaft, Politik, Philosophie. Als Philosoph kann man nicht überleben, also braucht es Wirtschaftskenntnisse. Ohne philosophische Fluchtmöglichkeiten aber würden einen Wirtschaft und Politik nur depressiv machen." (Sebastian Fasthuber /DER STANDARD, Printausgabe, 20.03.2007)