Befreiungsversuche aus einem Dilemma: Jakob Matschenz und Claudia Michelsen in Sabine Derflingers jüngstem Spielfilm "42plus"

Foto: Dor Film
STANDARD: Eine Frau Mitte 40 sucht sich einen Liebhaber: Ihr neuer Film nimmt sich eines Sujets an, das zumindest im deutschen Sprachraum meist kitschigen TV-Schnulzen vorbehalten ist. Wie schwierig war es, sich von solchen Formaten abzugrenzen?

Derflinger: Das war die Herausforderung, die mich gereizt hat: Ob es gelingt, eine Geschichte zu schreiben, wo nichts Großes, kein gravierendes Ereignis passiert – ein modernes Drama, wo die Heldinnen und Helden in einem unauflösbaren Dilemma leben.

STANDARD: "42plus" – schon im Titel fokussieren Sie sehr stark auf einen Aspekt des Alterns, den Ihre Protagonistin, eine Medienmanagerin, als einigermaßen belastend empfindet.

Derflinger: Das, was negativ besetzt oft Midlife-Crisis genannt wird, ist wohl als Lebensphase ebenso signifikant wie die Pubertät. Man kann diese Phase als Krise, die man gut oder weniger gut übersteht, definieren. Aber dass man sich in der Mitte des Lebens irgendwann fragt, wo ist man hingegangen, wo ist man angekommen, wo will man weiter hingehen, welche Ideale muss man noch aufgeben, das ist einfach Teil des Lebens und ganz normal.

STANDARD: Wie ist Ihr dänischer Co-Autor Mogens Rukov, zuletzt etwa beteiligt an Thomas Vinterbergs "Das Fest", an Bord des Projekts gekommen?

Derflinger: Er hat meinen Film Vollgas (2001) gesehen, und ich hatte zu der Zeit bereits die Idee, das zu machen. Er war begeistert und hat darauf beharrt, dass diese mittelständische Geschichte in einem Urlaub in einem Haus am Meer spielt, in einer mythischen Kinorealität, die quasi größer ist als der Alltag. Trotzdem wurde es schwierig, Förderungsstellen und Produzenten zu überzeugen: Man konnte sich nicht vorstellen, dass es interessant sein kann, einen Film in einem bürgerlichen Milieu zu machen und über zwischenmenschliche "Luxusprobleme" zu erzählen, aber gerade das reizte mich. Ich habe mich – siehe Vollgas – bisher ja viel beschäftigt mit sozialen Randbereichen, wo meist materielle Probleme im Mittelpunkt stehen.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass der heimische Mittelstand, anders als etwa in Frankreich – siehe Chabrol oder Eric Rohmer – kaum Mut zu Erzählungen über die eigenen intimen Ängste findet?

Derflinger: In Österreich war das wohl auch eine geschichtliche Konsequenz nach dem 2. Weltkrieg, wo man sich sagte: Nur im proletarischen Milieu und oft auch nur auf dokumentarischem Wege könne man zeigen, wie die Wirklichkeit ausschaut in einem Land, das mit Lügen vollgepflastert wird. Außerdem sind in Österreich die städtischen Ballungsräume kleiner und damit auch die einschlägigen urbanen Milieus.

STANDARD: Ihre bisherigen Filme lebten stark davon, dass gleichsam Unbekannte agierten, Menschen und Spielweisen, an die man sich beim Betrachten erst gewöhnen muss. Hier haben Sie auf Stars wie Claudia Michelsen, Petra Morzé, Ulrich Tukur, Tobias Moretti setzen können: Ist es harte Arbeit, denen eine neue Unmittelbarkeit abzuverlangen?

Derflinger: Überhaupt nicht, ich habe diese Schauspieler ja nicht ausgesucht, weil sie berühmt sind. Was sie sonst alles gespielt haben und woher ich sie sonst kenne, das ist beim Drehen gar nicht da. Die spezielle Konstellation mit "Stars", sie war bestenfalls hilfreich, weil ich mich auch formal weiterentwickeln will – und das hieß in diesem Fall: Von Figuren und von Stoffen erzählen, die grundlegende menschliche Problematiken ausloten, aber in Überlebensgröße.

STANDARD: Im Rahmen der Diagonale wird es auch heuer sicher wieder Diskussionen geben über die aktuelle Auftragslage der Filmemacher. In Österreich Filme zu machen – was heißt das derzeit?

Derflinger: Das kann man allgemein nicht sagen, weil das sehr unterschiedlich an Personen festgebunden ist. Prinzipiell gibt es natürlich nur wenige Regisseure und vor allem Regisseurinnen, die einen Film nach dem anderen machen kontinuierlich arbeiten und davon auch leben können. Verkürzt gesagt: Entweder man ist reich, oder man macht Werbung, oder man ist im obersten Segment, wo ein Film den nächsten ergibt – sonst wird es immer schwieriger, überhaupt durchzukommen. Regisseure wie Michael Haneke oder Seidl haben lange Fernsehfilme gemacht. Das ist in der gegenwärtigen Auftragslage etwa beim ORF derzeit kaum möglich.

STANDARD: Sie waren bis dato ja auch wenig ORF-kompatibel.

Derflinger: Ich habe inzwischen einen Fernsehfilm in Deutschland gemacht, der in München das Filmfestival gewonnen hat. Aufträge hat das keine nach sich gezogen. Die größte Klippe ist aber wohl, dass die Realisierung einzelner Projekte oft lange dauert, weil sich die verschiedenen Filminstitutionen quer stellen. Manchmal hat man das Gefühl, diverse Jurys glauben, sie bestellen sich lediglich ein Ansichtsvideo fürs Abendessen. Sie erkennen nicht, dass es nicht ausschließlich um ihren persönlichen Geschmack gehen sollte, sondern darum, dass ein Projekt irgendwann ein gewisses Gewicht hat. So hängen irgendwann viele Projekte zwischen den Seilen, wenn man selbst mithängt, wird das Überleben schwierig, ganz pragmatisch finanziell. Dann Atem und Selbstvertrauen zu haben, dass man noch ein halbes Jahr durchhält . . .

20.3., UCI Annenhof 7, 22.00; 25.3., kiz, 19.30

(Claus Philipp / DER STANDARD, Printausgabe, 20.03.2007)