Foto: Corn
Wien - Wie beim Grillen oder Fußball auch kennt sich in der Popmusik natürlich jeder selbst immer am Allerbesten aus. Die Rede ist von drei Freizeitwelten, in denen das subjektive Empfinden gern zur Doktrin erhoben wird. Allerdings wird speziell im Pop das schnöselige Halbwissen der Laufkundschaft von drei Personengruppen weit in den Schatten gestellt. Ansteigend vom stillen Schrecken zum tosenden Expertentum:

3.) Leser und Hörer von so genannten anspruchsvollen Musikzeitschriften und Radioprogrammen.

2.) Schreiber und Gestalter von anspruchsvollen Musikzeitschriften und Radioprogrammen; abgebrochenes oder unverdautes Soziologiestudium kein Hindernis.

1.) Plattenverkäufer.

Wer Nick Hornbys Roman High Fidelity gelesen hat, weiß, dass man als potenzieller Käufer von neuer und hipper Musik ein Plattengeschäft auch zu einem Gutteil aus einem Grund betritt: Man will dort gedemütigt und bloßgestellt werden. Plattenverkäufer sind allwissende Müllhalden. Sie wurden wegen ihres jahrelang im Geschäft versnobten Geschmacks und also wegen ihrer von einem Millionenpublikum kaum erwiderten Liebe für finnische Zwölfton-Nasenflötensatanisten oder thailändische Bademeister, die mit ihren Achseln den Motörhead-Backkatalog rückwärts furzen können, wovon dann Patrick Pulsinger einen A-cappella-Remix für ein neufundländisches Minimaltechno-Label macht, etwas bitter und bösartig. Der Kunde bekommt das zu spüren.

Wenn noch vor zwei Jahren zum Beispiel jemand bei dem hier im Wiener Flex aufspielenden Jamie Reynolds im Plattengeschäft vorstellig geworden wäre, weil er gehört habe, dass es da diese wahnsinnig angesagte neue Musikrichtung namens "New Rave" und deren Erfinder Klaxons geben würde, die gerade dieses als absoluter Geheimtipp gehandelte Album Myths Of The Near Future veröffentlicht hätten, hätte es von ihm nur Hohn und Spott gesetzt. Immerhin handle es sich bei den für Briten mit Mitte 20 eigentlich schon reichlich überreifen Newcomern Klaxons nur um einen weiteren gut gemachten Industrie-Hype. Der bediene sich wegen Perspektivenlosigkeit und des "Endes der Geschichte", "Zeichendiebstahl", "Dekonstruktion", "Neukontextualisierung" und modephilosophen 80er-Jahre-Liesl-von-der-Postmoderne-Blablablas dementsprechend schamlos aus dem Abfallhaufen der Popkultur.

Wer aber, so wie er, das Londoner Trio schon einmal live gesehen habe, zum Beispiel im Wiener Flex, damals, als die Band gerade auf dem Sprung zum internationalen Durchbruch gewesen war, müsse doch wissen, dass das alles billiges Blendwerk sei.

Das vorauseilende Gehupe von wegen Wiederaufbereitung der britischen Rave-Szene der späten 80er-Jahre (Stone Roses, Happy Mondays ...) inklusive Fliegeralarm-Sirenen, Neonwürsten, Acid-Beats und Designerdrogen und die auf Platte auf die Schnelle des Coolheitsfaktors wegen zusammengegoogelten Querverweise auf Obskures, Obstruktes und Okkultes zwischen Thomas Pynchon, William S. Burroughs und Aleister Crowley seien zwar für die Medien genialisch ausgeheckt worden - möglicherweise von einem Plattenverkäufer?! Tatsächlich aber böten die Klaxons gerade auch live nur konventionellen, etwas auffrisierten, stürmenden und drängenden Gitarren-Britpop, den es so seit den 60er-Jahren gibt. Verpackung ist alles.

Menschen mit wirklich gutem Geschmack würden ohnehin auf die einzig wahre New-Rave-Band warten. Die britischen Shitdisco nämlich würden Mitte April Kingdom Of Fear veröffentlichen. Superalbum! Seit Wochen als exklusive Vorabpressung zu Hause!

Aber warum soll man sich mit Banausen wie euch abquälen? Geht doch zu den Klaxons und werdet mit ihnen glücklich, ihr Blitzgneißer! (Christian Schachinger/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 3. 2007)