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Gene, die beim Fadenwurm C. elegans für langes Leben sorgen, könnten auch beim Alterungsprozess der Menschen eine wichtige Rolle spielen.

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Unsere Gesellschaft wird immer älter. Doch so richtig alt zu werden - 85 Jahre und mehr -, ist nicht einmal der Hälfte von uns vorbehalten. Und von all jenen, die dieses Alter erreichen, bleiben nur einige wenige von nennenswerten Krankheiten verschont.

Gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung erhöhen zwar die Chancen, zu diesen wenigen Glücklichen zu gehören, Garantie sind sie aber keine. Denn da müssen schon auch die entsprechenden genetischen Anlagen dazukommen. Bisher durchgeführte Studien schätzen den vererbten Anteil von Langlebigkeit auf immerhin rund 25 Prozent.

Welche Gene für gesundes Altern verantwortlich sein könnten und wie sie ihre Wirkung entfalten, untersucht Julius Halaschek-Wiener am renommierten kanadischen Michael Smith Genome Sciences Centre in Vancouver im Rahmen eines vom Wissenschaftsministerium geförderten Erwin-Schrödinger-Stipendiums des FWF. Als Modellorganismus dient ihm und seiner Kollegin Angela Brooks-Wilson der winzige durchsichtige Fadenwurm Caenorhabditis elegans, kurz: C. elegans, der seit den 1960er-Jahren einer der beliebtesten Modellorganismen von Molekularbiologen ist.

Entschlüsselter Wurm

C. elegans hat nämlich alles, was einen typischen Vielzeller ausmacht, ist aber dabei so klein und simpel, dass man ihn gut züchten und handhaben kann. Und er ist der bis jetzt einzige mehrzellige Organismus, für den die Entwicklung jeder seiner rund 1000 Zellen vollständig bekannt ist.

Vor mehr als zehn Jahren fand man Exemplare, die statt der üblichen zwei Wochen eine bis zu doppelt so lange Lebensspanne hatten. Wie sich herausstellte, wiesen diese Würmer eine Mutation an einem daf-2 genannten Gen auf. Das wiederum ist dem Gen sehr ähnlich, das bei Säugern den Rezeptor für den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) kodiert. IGF-1 in Kombination mit dem korrespondierenden Rezeptor steuert wichtige Wachstumsvorgänge und Stoffwechselfunktionen - das teilweise Ausschalten dieses Rezeptors in weiblichen Mäusen führte zu einer Lebensverlängerung um ein Drittel.

Die Ergebnisse aus der Erforschung eines Wurmes für den Menschen verwenden zu wollen scheint abwegig. Untersuchungen an Fruchtfliegen und Mäusen jedoch haben gezeigt, dass die meisten Gene, die Lebenszeit beeinflussend wirken, mit hormonalen Signalen zu tun haben. Und sowohl diese Gene als auch die zugehörigen Hormonsysteme funktionieren bei allen vielzelligen Organismen sehr ähnlich. Selbstverständlich bedeuten Ähnlichkeiten noch keine völlige Gleichheit. Doch Anregungen hat das hervorragend untersuchte Genom von C. elegans sehr wohl zu bieten.

Halaschek-Wiener und seine Kollegen untersuchten das Transkriptom - das ist die Summe aller unter Verwendung stehender Gene - von C. elegans auf Gene, die bei den langlebigen daf-2-Mutanten anders verwendet werden als bei normalen Würmern.

Dabei fanden sie nicht nur einzelne Gene, sondern ganze Gen-Familien, die bis jetzt noch nicht mit dem Alterungsprozess in Verbindung gebracht worden waren. Eine Auswahl aus diesen, kombiniert mit weiteren Genen, von denen schon angenommen wurde, dass sie eine Rolle beim Altern spielen, werden nun in außergewöhnlich gesunden und aktiven Senioren über 85 Jahren untersucht.

Kleinste Unterschiede

Die häufigste Variation, die im menschlichen Genom auftritt, sind so genannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs - suggestiverweise "Snips" ausgesprochen). Das sind winzige Veränderungen in den DNA-Grundbausteinen, bei denen ein Basenpaar durch eine andere Base ersetzt wird. SNPs stellen rund 90 Prozent aller genetisch bedingten Unterschiede beim Menschen dar. Sie wirken sich zwar nicht augenfällig aus, können aber subtile Veränderungen hervorrufen - etwa in der Reaktion des jeweiligen Organismus auf Stress oder Krankheiten. So gibt es bereits Befunde, die bestimmte SNPs mit der Anfälligkeit für HIV, Thrombosen oder Drogen in Verbindung bringen. Solche "Anfälligkeitsgene" ("susceptibility genes") wären durchaus auch für Langlebigkeit bzw. Gesundheit bis ins hohe Alter denkbar.

An der Studie von Halaschek-Wiener und seinen Kollegen nehmen zwei Gruppen von jeweils 500 Personen teil: Die eine Gruppe besteht aus mindestens 85-Jährigen, die an keiner der fünf häufigsten Alterskrankheiten (Krebs, Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, Diabetes und Alzheimer) leiden und laut eigener Aussage eine gute Lebensqualität genießen. Die Kontrollgruppe besteht aus 40- bis 50-Jährigen, deren Gesundheitszustand nicht berücksichtigt wird. Für diese beiden Samples sollen die Gene verglichen werden, von denen die Wissenschafter annehmen, dass sie für das gesunde Altern eine Rolle spielen.

Die DNA der Senioren

In einer ersten Phase wird die DNA von 50 Senioren sequenziert, um für den Alterungsprozess potenziell relevante SNPs zu finden. In der Folge werden diese SNPs, von denen die Forschungsgruppe schon mehr als 700 gefunden hat, im Erbmaterial von 1000 Personen untersucht, um genetische Zusammenhänge zwischen diesen SNPs und gesundem Altern zu finden. Die Endergebnisse dieser Studie - und damit Aufschluss darüber, inwieweit die ausgewählten Gene tatsächlich zu Langlebigkeit in Gesundheit beitragen - werden bis Ende dieses Jahres erwartet.

Hinweise darauf, was beim Älterwerden eigentlich passiert, liefern auch extrem seltene Krankheiten, bei denen bereits Kinder Symptome der Vergreisung aufweisen. Eine davon ist das Hutchinson-Gilford-Syndrom, das mit Arteriosklerose, Herz-Kreislauf-Problemen, Haarausfall, steifen Gelenken und dergleichen einhergeht - lauter Beschwerden, die auch beim normalen Altern auftreten.

Halaschek-Wiener vermutet, dass die der Krankheit zugrunde liegenden Mutationen zu einer vorzeitigen Erschöpfung der Stammzellen führen, die für die Reparatur von belasteten Geweben sorgen. Sollte sich das als richtig herausstellen, wäre ein weiterer Schritt bei der Entschlüsselung des "Phänomens Alter" getan. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 3. 2007)