"City-Lofts" auf 5000 historischen Quadratmetern, über die Friedrich Achleitner schreibt: "Ein besonders schöner, klar konzipierter Eisenbetonbau aus der frühen Pionierzeit, bei dem bereits die reine Struktur zum bestimmenden Element der Fassade wurde."

Fotos: Anna Blau
An manchen Ecken Wiens kann man noch ablesen, wie es – wie man so leichthin sagt – früher einmal war. Wie sich in der Stadt das Arbeiten und Wohnen mischten, als kleine Gewerbebetriebe und große Fabriken nebeneinander existierten und gemeinsam Leben und Erscheinungsbild eines Grätzels formten. Solche Gegenden sind geprägt von Hinterhöfen und Arbeitsrampen, von großen und kleinen Industriegebäuden, man sieht unterschiedlich hohe Bebauungen und riecht Duftmelangen von Schmieröl, verarbeitetem Metall und frischen Backwaren.

Eine dieser Ecken Wiens befindet sich im Bereich um den Gaudenzdorfer Gürtel, die Margaretenstraße und die Wienzeile. Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war diese Gegend, wie man heute sagen würde, ein Stadtentwicklungsgebiet ersten Ranges. Der Reihe nach entstanden teils sehr großformatige Gebäude, wie die Hauptfeuerwache und die prächtige Zentralberufsschule, die das Stadtbild dort bis heute durchaus günstig dominieren. In der Mitte als herausgeputztes Krönchen: Otto Wagners Stadtbahnstation.

Ein weiteres bemerkenswertes Haus befindet sich am Gaudenzdorfer Gürtel Nummer 43–45 und wurde seinerzeit von der renommierten und wegen ihrer süßen Produkte sehr beliebten Kölner Schokoladefabrik der Gebrüder Stollwerck als Lager- und Bürogebäude errichtet. Als Architekt zeichnete Rudolf Krausz verantwortlich. Als gewohnt profilierter Kenner der heimischen Architektur des 20. Jahrhunderts beschreibt Friedrich Achleitner das Haus der "Schokoladefabrik" so: "Ein besonders schöner, klar konzipierter Eisenbetonbau aus der frühen Pionierzeit, bei dem bereits die reine Struktur zum bestimmenden Element der Fassade wurde." Tatsächlich: wenig Zuckerguss über puristischen Zutaten.

Neuerdings leuchtet besagte Fassade aus der langen Gürtelfront frisch herausgeputzt deutlich hervor: Nach vielen Jahren eher grau-traurigen Vergammelns präsentiert sich das gesamte Ensemble nun restauriert und mit neuem, flott-urbanem Leben befüllt. Aus der alten Zuckerl- und Schokoladefabrik entstand ein angenehm ungeschleckter, undesignter Gewerbebau, in dem Filmunternehmen, Künstlerinnen und Künstler, Fotografinnen, Galeristen und Theatermenschen ihren Werkestätigkeiten nachgehen.

Auch derjenige, der als privater Investor die Revitalisierung verantwortet, residiert mit seinem Unternehmen hier: Walter Asmus hat als Projektentwickler deutliche Liebe zu Architektur und Baugeschichte bewiesen, er hat das alte, verrottete Gebäude jahrelang gewissermaßen umstreift und darum geworben, bis die Zeichen schließlich günstig standen und er es um 2,9 Millionen Euro (plus Nebenkosten) erwerben und um weitere 1,5 Millionen revitalisieren konnte. Zuletzt hatte das Ensemble der Handelskette Adeg gehört, die ihrerseits aufgekauft wurde und ihren Immobilienbesitz neu organisierte, und es ist durchaus als Glücksfall zu werten, dass hier ein privater Liebhaber alter Gemäuer zugriff und nicht eines jener großen Immobilienunternehmen, die vorzugsweise mit Abrissbirnen und Bürohausplanungen zugange sind.

Denn dieses Haus hätte ganz leicht abgerissen werden können. Es steht nicht unter Denkmalschutz, und es ist auch nicht eines dieser brillanten, auffälligen Industriejuwele, die Baugeschichte geschrieben haben. Aber es ist ein ausgesprochen charmantes Beispiel ganz früher Eisenbetonarchitektur jener Prägung, wie es nur noch wenige in Wien gibt. Gut, dass es erhalten wurde, und gut, dass es nicht umgebaut, sondern lediglich von den Ablagerungen und Einbauten vieler Jahrzehnte befreit wurde.

Auf 5000 Quadratmeter Nutzfläche stehen nun prächtige Gewerbelofts mit den charakteristischen Eisenbetonstützen und -trägern im großzügigen Raster zur Verfügung. Die Belichtung – und das ist einer der Hauptvorzüge der Anlage – erfolgt fast überall von zumindest zwei Seiten. Den einzigen Wermutstropfen stellen die Fenster der Gürtelfassade dar: Die alten Industriefenster wurden seinerzeit bereits von Adeg ausgetauscht, was bedauerlich, aber unabänderlich ist, doch auch mit den neuen, zwar nicht so schönen, aber zugegebenermaßen praktischeren Fenstern kann man durchaus leben.

Walter Asmus, der selbst kein Architekt ist, bewies Sorgfalt und gutes Gefühl im Umgang mit der Substanz: Bevor er überhaupt Hand an das Zuckerlhaus legte, setzte er sich mit dem Denkmalamt in Verbindung und beauftragte den Kunsthistoriker und architekturgeschichtlich mit der Entstehungszeit bewanderten Markus Kristan mit einer umfassenden Recherche. Der fand unter anderen zahllosen interessanten Details etwa heraus, dass auch Josef Plecnik im Jahr 1910 einen Fassadenentwurf geliefert hatte, der aber wegen zu radikaler Modernität behördlich abgelehnt worden war.

Die Lofts selbst wurden "nackt" an ihre Nutzer verkauft (Quadratmeterpreis je nach Lage von 900 bis 1350 Euro) und in Eigenregie ausgestattet. Alle sozusagen öffentlichen Details, wie das alte Eingangsportal oder das geräumige Stiegenhaus samt historischen Geländern sowie die gesamte Gebäudesubstanz wurden ohne Schnickschnack nach Möglichkeit in ihren Originalzustand versetzt und natürlich mit zeitgemäßer Haustechnik versorgt. Man ging so weit, alle aufgefundenen alten Steinfliesen, die zu erhalten waren, einzeln abzulösen und im Stiegenhaus neu zu verlegen. Auch der vormals völlig zugemüllte Keller wurde ausgeräumt, von Zwischenwänden befreit und zu einer Garage umfunktioniert.

Das gesamte Projekt kam übrigens ohne einen Cent Förderungsmitteln aus, dafür genehmigten die baubewilligenden Behörden etwas geräumigere Balkone im Hofbereich, wo sie im Übrigen ohnehin keine Menschenseele im Geringsten irritieren. Apropos: Auch die Dachzonen erhielten jene Art von begrünbaren Dachterrassen, für die private Stadtgärtner Morde zu begehen bereit sind. Das oberbelichtete Dachgeschoß mit seinen, wie Markus Kristan es nennt, "an Kleiderbügel erinnernden" Eisenbetonträgern ist jetzt, vom Müll befreit und sauber geputzt, ein Zuckerl von einem Saal. Und ganz unten wird demnächst in einem ebenfalls klaren, großen, unkapriziösen Raum die Kinderoper Piccolino eine neue Aufführungsstätte beziehen.

Kurzum: Hier ist, abseits von Trubel und Architekturtrara, von Stadtentwicklungs- und Bauindustriegetöse, von privatem Willen und Risiko getragen, ein schönes und engagiertes Projekt fertig geworden, an dem nicht nur seine Benutzer, sondern auch alle, die täglich am Gürtel daran vorbeistauen, eine Freude haben können. (Ute Woltron / ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.04.2007)