Der ORF will künftig wieder mehr Augenmerk auf die Quote legen. Dies lässt ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz im Interview mit der APA durchblicken. Kern der Diskussion über die jüngste Programmreform im Fernsehen: "Das einzige in der öffentlichen Debatte, woran der ORF real gemessen ist, ist die Quote." Die neue Doku- und Eurofilm-Leiste und bessere Sendeplätze für Qualitätsprogramm seien in der realen öffentlichen Diskussion irrelevant. "Wir müssen deshalb noch konsequenter auf Marktanteile hinarbeiten. Es ist notwendig, um jedes Zehntel-Prozent zu kämpfen. Das heißt aber nicht, dass ich meine betont öffentlich-rechtliche Public Value-Strategie aufgebe. Die anspruchsvollen Programme auf besseren Sendeplätzen werden bleiben", so der ORF-Chef.

Ziel bleibt 41 Prozent Tagesmarktanteil

Dass die Kritik an den zuletzt nach unten tendierenden Quoten des ORF-Fernsehens vor allem aus bürgerlichen, VP-nahen Kreisen kommt, wo die ORF-Quotenjagd über viele Jahre als falscher Weg bezeichnet worden war, will Wrabetz aber nicht als "Pharisäertum" abtun. "Ich werde mit diesem Wort künftig sehr vorsichtig umgehen und jede Kritik ernst nehmen." Ziel bleibe jedenfalls ein Tagesmarktanteil von 41 Prozent. Im April sackte dieser ja auf den historisch tiefsten Wert von 37,9 Prozent ab. Mit einem deutlichen Aufwärtstrend über 40 Prozent rechnet Wrabetz aber erst nach dem Sommer. "Wir kennen die Schwächen im Programm. Wenn wir die bereinigen, dann kommen wir in allen Bereichen wieder auf jenes Reichweitenniveau, das die Werbewirtschaft von uns erwartet. Manche Zeitzonen wie zum Beispiel auf ORF 2 die Abfolge ZiB-Wetter-Sport-Seitenblicke-Hauptabend funktionieren bis jetzt schon deutlich besser als erwartet und zum absoluten Vorteil der Werbewirtschaft."

"Qualitativer Fortschritt" bei Debatte um Unabhängigkeit

Einen "qualitativen Fortschritt" ortet Wrabetz unterdessen in der Debatte um die Unabhängigkeit des ORF. Habe man sich vor einem Jahr noch mitten in einer Diskussion über den politischen Einfluss auf den ORF befunden, so sei die Information des öffentlich-rechtlichen Senders heute völlig unumstritten. "Lieber diskutiere ich über Marktanteile als über Unabhängigkeit und Objektivität des ORF. Der unbestrittene Ruf unserer politischen Unabhängigkeit ist schließlich Kern unserer Arbeit." Die einzig ernsthafte Kritik an der ORF-Information seien Streifen im Studiohintergrund.

"Eine Vorabendserie ist eine Vorabendserie"

Dass der neue 19.20 Uhr-Termin auf ORF 1 - dort läuft die umstrittene Daily "Mitten im Achten" - an den Sehgewohnheiten der Österreicher völlig vorbei gehe, glaubt Wrabetz nicht. "Das ist natürlich ein extrem ambitionierter Termin, weil es sich um keinen gelernten Sendeplatz handelt. Aber wo sonst soll man ein eigenproduziertes Vorabendformat platzieren. Doch nicht gegen 'Bundesland heute'". Wrabetz will dem Projekt noch vier bis sechs Monate Zeit geben. Die Zielvorgaben: Marktführer bei den Dailys, und "'MiA' sollte über 200.000 Zuseher haben". Ansonsten möge man die Kirche im Dorf lassen. "Es ist seltsam, dass es mehr Stellungnahmen von Politikern zu 'Mitten im Achten' gibt, als etwa zu wirklich wichtigen Ereignissen wie der Wahl in Frankreich. Eine Vorabendserie ist eine Vorabendserie."

Die Wiedereinführung der Durchschaltung der "Zeit im Bild", wie sie zuletzt Vizekanzler Wilhelm Molterer von der ÖVP gefordert hatte, kommt jedenfalls nicht. Was den Vizekanzler dazu bewogen haben mag, sich in die Debatte um die operative ORF-Programmierung einzubringen? ORF-intern werden anstehende Personalrochaden als möglicher Grund für die jüngsten ÖVP-Attacken auf Wrabetz und sein Team kolportiert. Der in der ORF-Farbenlehre bürgerliche "Report"-Chef Gerhard Jelinek soll dem der linken ORF-Reichshälfte zugeordneten Robert Wieser weichen. Wrabetz: "Ich habe Molterers Aussagen als wertvolles Interesse an Fragen der Tagesprogrammierung und nicht als politische Intervention verstanden. Jeder Gebührenzahler hat Recht zur Kritik."

Neues Service-Format

Die Einstellung von "Willkommen Österreich" sei jedenfalls "kein Fehler". Nicht richtig sei gewesen, in dieser Zeitzone mit der Serie "Julia" ein fiktionales Element zu platzieren. Davor und danach funktioniere das Programm mit "Heute in Österreich" und "Konkret" ja. "Mit einem neuen Service-Format, werden wir diese Delle aber rasch schließen." In Summe biete die neue Vorabendschiene auf ORF 2 aber "mehr Entwicklungsmöglichkeiten" als es am Schluss mit "Willkommen Österreich" möglich war.

Programmdirektor Wolfgang Lorenz, in dessen Bereich der Großteil der Sorgenkinder ressortiert, genießt weiter das volle Vertrauen Wrabetz'. Lorenz habe "spannende Projekte" begonnen, und es gebe "keinen Grund" ihm nicht zu vertrauen. Dass Lorenz als arte- oder 3-sat-Programmchef besser aufgehoben wäre, will der ORF-Chef so nicht stehen lassen. "Lorenz ist jener Direktor, der bei der Wahl sowohl im Stiftungsrat als auch in der Öffentlichkeit die größte Zustimmung bekommen hat. Er ist ein Mann mit Ecken und Kanten. Es war jedem bewusst, dass es die eine oder andere Aufregung geben wird", sagte Wrabetz.

Rückendeckung für Strobl

Rückendeckung gibt es auch für ORF-Kommunikationschef Pius Strobl. Vorwürfe wonach der ORF für seine Programmreform Öffentlichkeitsarbeit und Marketing auf Champions League-Niveau betrieben habe, das ORF-Programm sich aber bestenfalls auf Bundesliganiveau befinde, weist der Generaldirektor zurück. "Das ganze wurde ordentlich und professionell vorbereitet. Durch schlechte PR wären die Marktanteile auch nicht höher gewesen. Kritik und Häme hätte es auch gegeben, wenn wir bescheidener gewesen wären. Und den Aufschrei hätte ich mir angeschaut, wenn wir 'Mitten im Achten' heimlich ins Programm geschmuggelt hätten." (Das Interview führte Johannes Bruckenberger/APA)