Erhan Altan: Seine Übertragungen setzen neue Impulse für die türkische Lyrik.

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Wien – Vor 21 Jahren kam Erhan Altan nach Wien. Er hatte Elektronik an der Technischen Universität Istanbul studiert, hier setzte er sein Studium fort. Um sich irgendwann einzugestehen: "Ich teile das Schicksal vieler türkischer Akademiker, ich habe etwas Falsches studiert. Die Dichtung war damals schon meine Liebe."

Gelesen habe er immer viel, erzählt Altan. Ab 2000 aber habe sich seine Leidenschaft für Literatur, im Besonderen für Lyrik zu einer Obsession entwickelt. Seitdem hat er in türkischen Zeitschriften und hiesigen Kleinverlagen Essays über und Übersetzungen von Poesie aus Österreich publiziert. Und zwar von explizit experimenteller Poesie. Sein Lieblingsbaby: Heimrad Bäckers nachschrift 1 (türkisch: tutanak), ein bislang in keine andere Sprache übersetztes Buch.

Bayer, Artmann, Rühm

Eine merkwürdige Kombination, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss: Hier schon schwer vermittelbare Gedichte von H. C. Artmann, Friedrich Achleitner, Konrad Bayer, Andreas Okopenko, Friederike Mayröcker und Jüngeren wie Oswald Egger oder Hansjörg Zauner überträgt Altan mit drei Freunden – Sadik Akfirat, Burak Özyalcin und Hayati Yildiz – in eine Sprache und einen Kulturraum mit völlig anderer literarischer Tradition.

Er sieht sich als Vermittler zwischen seiner neuen und der alten Heimat: "Texte, die mit formalen Elementen arbeiten, sind der türkischen Lyrik völlig fremd. Der Sozialrealismus hat seit den Siebzigerjahren eine sehr dominante Rolle gespielt und jegliches formale Element diffamiert. Dagegen muss etwas getan werden."

Damit es sich für eine junge Generation besser dichtet, müsse sie erst den ganzen Formenreichtum der zeitgenössischen Lyrik kennen lernen, findet Altan. yasakmeyve (etwa: Verbotene Frucht) heißt eine größere türkische Literaturzeitschrift, zu der Altan kürzlich eine Beilage mit Übersetzungen von Artmann, Rühm & Co. gestaltet hat. Binnen kurzer Zeit war die Ausgabe ausverkauft, zum ersten Mal in der Geschichte der Zeitschrift. Solche Erfolge geben Auftrieb. Altan und seine Freunde hegen nun einen ehrgeizigen Plan: "Es klingt verrückt, aber wir wollen in den nächsten zehn Jahren die österreichische experimentelle Poesie möglichst komplett übersetzen."

Zur beträchtlichen Schwierigkeit, formbewusste Lyrik zu übertragen, und zur Qualität der Übersetzungen sagt der Rädelsführer: "Es geht uns nicht um Perfektion. Man soll sehen, was der Autor in einem bestimmten Gedicht macht. Wir übersetzen ja auch, um die Gedichte selber besser zu verstehen. Das ist eine tolle Methode, und es entstehen bei der Arbeit sehr ekstatische Momente."

Mit jungen türkischen Autoren besteht bereits reger Kontakt, Austauschprogramme mit österreichischen Kollegen sind in Arbeit. Nur die Etablierten, die immer noch die Machtpositionen im literarischen Leben der Türkei besetzt halten, haben sich zu Altans Aktivitäten bislang beharrlich nicht geäußert. "Sie nehmen es schon wahr, aber sie schweigen", meint Altan.

Und wieder zeigt er dieses spitzbübische Lächeln: "Die mögen das nicht so, wenn sich jemand zu intensiv mit Übersetzungen beschäftigt." Er weiß, über kurz oder lang wird sich seine wertvolle Arbeit nicht ignorieren lassen. Erste Früchte trägt sie schon jetzt. (Sebastian Fasthuber / DER STANDARD, Printausgabe, 26./27./28.05.2007)