Ignacio Ramonet ist nicht irgendwer. Der Chefredakteur von Le Monde diplomatique, Mitbegründer von Attac und der Weltsozialforen, gilt als führendener Kopf der Globalisierungskritiker. Man sollte meinen, dass er für mehr, nicht für weniger Demokratie eintritt. Nun hat sich Ramonet damit solidarisiert, dass die Regierung Venezuelas die Lizenz zur terrestrischen Ausstrahlung des privaten Fernsehsenders RCTV nicht verlängert. Mit ihrer "Lügenkampagne" über das, was in Venezuela geschieht, habe sich RCTV diese Konsequenz verdient, meinte Ramonet in Übereinstimmung mit der Solidaritätsbewegung für die „bolivarianische Revolution“ des Präsidenten Hugo Chávez in aller Welt.

So ziemlich alle Organisationen zum Schutz der Pressefreiheit – von den Reportern ohne Grenzen über die Internationale Journalistenföderation bis zum in Wien ansässigen Internationalen Presseinstitut – haben über die Vorgänge in Venezuela ihre Besorgnis geäußert oder sie überhaupt verurteilt. Sorge und Kritik äußerte auch der deutsche Vorsitz der EU. Die sicher nicht linksextreme Nachrichtenagentur Reuters vermerkte hingegen in einer „Factbox“, dass im April 2002 private TV-Sender in Venezuela erst den damaligen Putschversuch gegen Präsident Chávez unterstützt und die nachfolgenden Proteste seiner Anhänger verschwiegen hätten.

Im britischen Parlament zeigten Labour-Abgeordnete vergangene Woche eine Filmdokumentation über diese Vorfälle; sozialistische Ikonen wir Tony Benn riefen zur Unterstützung von Chávez auf. Etwas unbehaglich wurde es, als der Guardian auf einen britischen Präzedenzfall verwies: 1991 weigerte sich die Regierung von Margaret Thatcher, die Lizenz des Privatsenders Thames Televison zu verlängern. Das wurde damals als Strafe für die Ausstrahlung der Dokumentation „Death on the Rock“ betrachtet, in der es um die Erschießung von drei IRA-Leuten durch britische Geheimdienstler in Gibraltar ging. Alle Linken waren damals natürlich über die Sendersperre empört.

Man sieht, im Schnellverfahren ist der Frage der Meinungsfreiheit unter Chávez nicht beizukommen. Jahrzehntelang war Venezuela ein Land, von dessen Ölreichtum vor allem eine korrupte Oberschicht profitierte, während es gleichzeitig und skandalöserweise Massenarmut gab. Als der ehemalige Putschoffizier Chávez 1998 von der großen Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde, versprach er eine soziale Umwälzung. Die bisherigen Nutznießer des Systems, samt ihrer Verbündeten in den Medien, kämpften mit allen Mitteln dagegen. Chávez und seine Parteigänger versprachen einen neuartigen Sozialismus ohne Unterdrückung, doch bald zeigten sich auch autoritäre Reflexe. So heißt es im Artikel 58 der neuen Verfassung, dass alle Personen das Recht auf „wahre“ Information hätten, ein eher philosophischer oder metaphysischer Begriff, der leicht zur Waffe gegen die Meinungsfreiheit werden kann.

So wurde denn auch Teodoro Petkoff, ein ehemaliger Guerillakämpfer, der als vom Tod bedrohter Gefängnisinsasse die „bürgerlichen“ Rechte und Freiheiten schätzen gelernt hatte, zum scharfen Gegner der Chávez-Regierung. Petkoffs kleine, besonders kritisch Zeitung Tal Cual erscheint nach wie vor, wurde aber schon mehrfach verklagt. Ohne freie Presse ist beispielsweise der Kampf gegen Korruption nicht zu gewinnen. Aber Verleumdung, gar Aufrufe zur Ermordung des Präsidenten, wären in vielen Ländern klagbar; Medienfreiheit darf kein Mittel zur Verhetzung sein.

Die Chefs von RCTV betonen jedoch, dass es nie zu einem Gerichtsverfahren gekommen ist. In Umfragen waren 70 Prozent gegen das Ende des wegen seiner Telenovelas beliebten Senders, Chávez‘ Popularität steht nach wie vor bei 65 Prozent. Sollte er abweichende, auch reaktionäre Meinungen künftig nicht mehr zulassen, so heißt es in einem Kommentar der linken Berliner Tageszeitung, werde Venezuelas „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ fatal an den im 20. gescheiterten erinnern. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Printausgabe, 30.05.2007)