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Die Kunst als Vehikel für den Wirtschaftstandort. Erfolgreiches Beispiel ist Venedig mit der Biennale. Der Maler Herbert Brandl (links) mit Kurator Robert Fleck, gestaltet 2007 den Österreichischen Pavillon.

Foto: APA/OTS/Daniela Stern
Der Künstler galt stets als Gegenentwurf zum Geschäftsmann. Die Künstlerexistenz mit ihrem Hang zum Grenzgängertum wurde verstanden als Antithese zur kalten Rationalität des Wirtschaftslebens, zum berechnenden Krämergeist des Bourgeois. Umso erstaunlicher ist es, dass neuerdings der Künstler in einer kuriosen Volte als Exempel für das moderne Wirtschaftssubjekt präsentiert wird.

Heute gelten die Tugenden des Künstlers - die früher aus der Managementperspektive nichts als Untugenden waren - als wesentliche Voraussetzungen, will man wirtschaftlich Erfolg haben: geistige Ungebundenheit, Offenheit für Neues, Fantasie, Improvisationsfähigkeit, atypisches Verhalten und sogar kreative Anarchie - sie sind das, was heute vom neuen, zeitgemäßen Arbeitnehmer erwartet wird und vom "neuen Selbstständigen" sowieso.

Diese "zentralen Werte der Künstlerkompetenz", schreibt der Pariser Soziologe Pierre-Michel Menger, werden nach und nach auf alle Produktionsbereiche übertragen. Schöpferischer Erfindungsgeist wird zum Motor betriebswirtschaftlicher Innovation in den hippen Kleinunternehmen der "Kreativwirtschaft" - und über diese hinaus.

Das neue "Kreativitätsparadigma" formt alle Erwerbszweige um, hat aber auch Auswirkungen auf die Künste selbst. So wie die Wirtschaftswelt als Ganzes künstlerischer wird, so wird die Kunstwelt ökonomischer. Aus der Erfahrung, dass sich kulturelle Kompetenzen ökonomisch rechnen können, entpuppte sich im Handumdrehen der Imperativ, dass sich kulturelle Kompetenzen rechnen sollen, ja müssen. "Kein kultureller Event mehr ohne Verweis auf die gestiegenen Hotelbettenzahlen und Restaurantumsätze", schreibt die ehemalige Berliner Kultursenatorin Adrienne Goehler in ihrem Buch Verflüssigungen. Subventionsgeber und Mäzene erwarten heute einen expliziten Return of Investment. War früher noch von "der Kunstwelt" oder "der Kunstszene" die Rede, so sind die Catchphrasen heute "Creative Industries" und "Creative Classes".

In den USA werden den "Cultural Creatives" bei einer Gesamteinwohnerzahl von 300 Millionen Menschen rund 50 Millionen Menschen zugerechnet. "Die Konzentration kreativer und talentierter Leute ist ausgesprochen bedeutend für Innovation", rechnet Richard Florida vor, der mit seinem Buch The Rise of the Creative Class den Begriff erst populär machte. Gewiss kann man fragen, ob Sänger und Werbetexter, Romanciers und TV-Moderatoren, Poeten und Popsternchen, Weltstars und Lokalcelebrities, Barenboim und Bohlen, Webdesigner, Universitätsprofessoren, Kulturmanager, Innenarchitekten, Handyklingeltonprogrammierer, die Vanity-Fair-Redakteurin und die Redaktionsassistentin bei RTL wirklich alle Teil einer einzigen "kreativen Klasse" sind. Dennoch ist der Begriff nicht ganz unbrauchbar, sind sie doch alle Zeichenproduzenten, die am imaginären und symbolischen Fundus unserer Zeit arbeiten - alle eben auf ihre Weise. Das intellektuelle Kapital der Künstler-Unternehmer stellt den "Motor dieser neuen Ära" dar, schreibt Jeremy Rifkin. Während physisches Kapital für Unternehmen mehr und mehr als Betriebskosten gesehen wird, sind "Konzepte, Ideen und Bilder - keine Gegenstände - die wahren Wertgegenstände dieser neuen Wirtschaftsordnung".

Früher gab es nicht selten das Vorurteil normal beschäftigter Angestellter und Arbeiter, die Künstler würden "auf unsere Kosten" leben. Heute stellt sich die Sache eher umgekehrt dar: Jetzt wird den Bürohengsten in Behörden und Betrieben vorgehalten, sie tragen nicht genug zur Steigerung des Sozialproduktes bei, ganz im Unterschied zu den Kreativen, die auch noch ganz ohne die soziale Absicherung auskommen, die Flexibilität ohnehin nur behindert. Wie toll und wichtig die Kreativität für die Förderung des BIP ist, ist längst keine bloße Meinung mehr, denn schließlich kann man das messen, und deshalb hat heute jedes urbane Zentrum, das auf sich hält, seinen regelmäßig aufgelegten "Kulturwirtschaftsbericht", in dem der Entwicklungsstand der "Creative Industries" bilanziert wird.

Die Kunst wird zum wichtigsten Vehikel für das, was man heute die Rivalität von Wirtschaftsstandorten nennt. Schon ist in aller Welt voller Bewunderung - und mit einer Prise Neid - vom "Bilbao-Effekt" die Rede. Damit wird auf den bemerkenswerten Aufstieg der einstmals bedeutungslosen baskischen Provinzstadt zu einem der neuen Fixsterne des globalen Kulturtourismus angespielt - und zwar, weil die Stadt zu einer Metropole postmoderner Architektur umgeformt wurde. Neues Wahrzeichen der Hafenstadt ist das spektakuläre Guggenheim-Museum, entworfen vom Stararchitekten Frank O. Gehry, aber auch eine Fahrt mit der Metro ist ein Erlebnis: Die Bahnhöfe baute der britische Architektenfürst Sir Norman Foster. Das brachte der Stadt nicht nur einen fixen Platz auf der Route des kunstinteressierten Jetsets, sondern die Aura als Mekka der Postmoderne ein - und damit unwiderstehliche Anziehungskraft auf Investoren. Die Marke Guggenheim und die Marke Gehry machten aus Bilbao selbst eine begehrte Marke.

Doch auch für diesen Bedeutungszuwachs zahlen die Künste ihren Preis. Denn wenn spektakuläre Kunstschauen, global gehypte Festivals und massenwirksame Aufführungen für den wirtschaftlichen Erfolg einer Stadt an Relevanz gewinnen und diese Stadt sich wiederum als Wirtschaftsstandort sieht, der mit anderen Wirtschaftsstandorten (die ihrerseits Kulturstandorte sind) in harter Konkurrenz steht, dann wird natürlich das favorisiert, was den größten Effekt verspricht, das, was buchstäblich "funktional" in diesem neuen Sinn von Funktionalismus ist: die aufsehenerregenden Blockbuster, die Inszenierungen der "Big Names", die Celebrities, die Schlagzeilen garantieren, die Produktionen der wilden Genies, deren Rebellentum man zwar nicht so genau versteht, mit denen man sich aber gerne schmückt. Wer diesen Markt bedient, hat die besseren Karten, wird von den Kulturverantwortlichen mit Subventionsmillionen überhäuft, ja, für den werden ganze Museumsstädte neu aufgebaut. Wer auf das Experimentelle setzt, auf die Nische gar, wer Räume offenhalten will, wo Neues erprobt werden kann, der muss eigentlich eine Schraube locker haben und an dem werden die Geldflüsse deshalb auch meist vorbeigeleitet. Gewiss, für ausgesuchte "viel versprechende" Teams und Produktionen gibt es Förderungen in homöopathischen Dosen, was dann meist als eine Art "Investment in die Zukunft" legitimiert wird: Schließlich ist die Subkultur-Größe von heute die Celebrity von morgen und damit eine Geldanlage wert.

Die Kreativen sollen nicht nur zum Reichtum der Gesellschaft einen entscheidenden Beitrag leisten, im Grunde sind die Kreativen diejenigen, von denen der Umbau der Gesellschaft selbst erwartet wird. Die Kulturkreativen erscheinen aus dieser Perspektive als die Turnlehrer oder besser Aerobictrainer einer etwas eingerosteten Gesellschaft, die darauf getrimmt werden müsse, ständig in Bewegung zu bleiben - zum Wohle des globalen Wettbewerbs, zum Zwecke der stetigen Anpassung an soziale Rahmenbedingungen, die heute in einer permanenten Revolution eigener Art ständig in Fluss sind. "Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts ist Kreativität - und nicht mehr Stahl", proklamiert Adrienne Goehler: "Deshalb geht Politik an der ökonomischen Entwicklung vorbei, wenn sie die Künste und die Wissenschaften weiterhin als Subventionsempfänger versteht und nicht als Investitionsgut."

All das hat natürlich vielfältige Folgen. Die simpelste davon: Berührungsängste gegenüber Kapitalgebern, die Künstler aus Angst vor Kommerzialisierung lange hatten, sind heute meist nicht mehr auszumachen. So ist das Kommerzielle eine Art spezifischer Äther, der alles einfärbt und nichts unberührt lässt. Die "hohe", die "echte", die "wahre" Kunst muss davon aber doch nicht notwendigerweise infiziert werden? Aber wo ist sie zu Hause, diese saubere Kunst, die sich die Finger nicht schmutzig macht? Joe Cappo, ein Veteran der amerikanischen Werbebranche und Autor des Buches The Future of Advertising, sagt: "Neu ist, dass Leute, die sich früher als Künstler begriffen hätten, jetzt Vermarkter sind." Das Attribut "Celebrity", zunehmend inflationär gebraucht, ist das Wort der Epoche. Celebrities sind berühmt fürs Berühmtsein, und dieses Berühmtsein koppelt sich, jedenfalls wenn der Celebritystatus einmal etabliert ist, von der realen Leistung des Künstlers ab. Mehr noch: Die Celebrity-Aura färbt das Kunstwerk ein - es ist begehrt, weil es das Werk der Celebrity ist. In einer kuriosen Kernschmelze werden die Künstler zu Marken und gleich auch zu Marketingexperten ihrer selbst. Deshalb ist Marktgängigkeit, also Kommerzialisierung, heute keine Gefährdung künstlerischer Glaubwürdigkeit mehr - im Gegenteil: Markterfolg und künstlerische Glaubwürdigkeit bedingen einander.

Besonders augenfällig ist das am Markt für bildende Kunst, der in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten geradezu explodierte. Für Bilder, Plastiken, Installationen werden astronomische Summen bezahlt, die früher undenkbar waren, Nachwuchskünstler werden von multinationalen Galeristen umworben und ihren lokalen Galeristen abgeworben, wie das bisher nur im Spitzenfußball üblich war, und Kunstmessen, einst Anlass zur Begegnung von ein paar Insidern, werden heute als regelrechte Festivals aufgezogen, mit Party ohne Ende, langbeinigen Starlets und großem Geld. Kaum ein großer Konzern, der heute nicht exquisite Kunstsammlungen anlegt. Die Investitionen dafür werden als zivilgesellschaftliches Engagement und sozial verantwortliches Unternehmertum in der Selbst-PR der Firmen angepriesen, was wiederum zu ihrem Markenimage beitragen soll. Eine eigene Art von Kunstagenten reist von Messe zu Messe, von den Unternehmen mit einem üppigen Budget ausgestattet, und kauft, was das Zeug hält. Und weil das die Preise nach oben treibt, gelten Kunstwerke mittlerweile als derart exzellente Wertanlage, dass schon die Hedgefonds beginnen, statt Aktien Bilder zu kaufen.

Ist das Kommerzialisierung - oder nur eine zeitgenössische Form von Mäzenatentum? Herrscht heute am Kunstmarkt also die reine Warenförmigkeit? Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen beinhalten Stärken, die nicht komplett kontrollierbar sind, weil sie ihre eigenen Bedingungen nicht nur mit erzeugen, sondern stets auch an deren Auflösung beteiligt sind. Man soll nicht unterschlagen, dass die Mythologisierung des Künstlerideals auch heute nicht nur affirmativ instrumentalisiert wird, diese Mythen können von sozialen Gruppen be- und genutzt werden, die ansonsten innerhalb existierender Machtstrukturen dem Verschweigen ausgesetzt wären. Soll heißen: Die Sache ist nicht nur schlecht, sie hat auch ihre guten Seiten. Mehr noch: Die Kommodifizierung macht vielen Künstlern das Leben leichter, dies soll auch nicht vergessen werden.

Der Satz aber, die Kunst sei keine Ware oder ein "Sonderfall der Ware", wird im Kulturkapitalismus absurd. Die Pointe des Kulturkapitalismus ist, dass in ihm beinahe jede Ware tendenziell zu einem "Sonderfall der Ware" wird, jedenfalls ist das die Absicht, die die Brandingstrategien verfolgen. Wenn aber alle Waren zu Kulturwaren werden, dann ist die Behauptung, die Kunst sei keine Ware wie jede andere, eben zu einer sinnlosen geworden. Das hieße nämlich, sie sei unter allen anderen einzigartigen Konsumgütern ein einzigartiges Konsumgut.

Die Künstler jedenfalls scheinen für die Implikationen all dessen ein waches Sensorium zu haben und reagieren auf die einzig logische Weise: Sie verkaufen sich, wie alle anderen auch. (Robert Misik/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 02./03.06.2007)