
Die ungarische Außenministerin Kinga Göncz stellt eine Enttäuschung in den Reformstaaten über die EU fest, "nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch unter Meinungsbildnern und Intellektuellen"
Nach Auffassung der ungarischen Ministerin hatten sich die Ungarn nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und später beim EU-Beitritt eine sehr schnelle Erreichung des westlichen Lebensstandards erhofft. Die Meinungsbildner und Intellektuellen seien von "einem idealistischen Bild der Demokratie" ausgegangen. "Doch praktizierte Demokratie funktioniert anders." Enttäuschte Erwartungen hätten "den Nährboden für Populisten und Nationalisten" bereitet. Göncz fügte hinzu: "Sündenböcke sind leicht zu finden." Denn 40 Jahre lang hätten die Bürger Ungarns geglaubt, dass der Staat für alles verantwortlich sei.
Auch Serbien sieht die Tochter des ehemaligen ungarischen Präsidenten Arpad Göncz, der seinerseits vor zehn Jahren vor dem Europa-Forum Wachau gesprochen hatte, an einem "Scheideweg". Die national orientierten Kräfte seien stärker geworden. "Europa muss die pro-demokratischen Kräfte stärken." In diesem Kontext machte Göncz auch eine Anmerkung zur innenpolitischen Situation Ungarns, wo es mehrmals gewaltsame Proteste gegen die sozialliberale Regierung gegeben hatte. "Es gibt auch in Ungarn Radikale", die sich sehr laut geäußert hätten.
Bezüglich der Schengen-Erweiterung konnte sich Göncz der Aussage des niederösterreichischen Landeshauptmanns Erwin Pröll (V), wonach "Qualität vor Tempo" kommen müsse, nicht uneingeschränkt anschließen. "Das ist auch eine Frage des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit." Der Beitritt zum Schengen-Bereich habe für die betroffenen Menschen im Osten, die so lange isoliert waren, auch eine "psychologische" Dimension. Bei der anschließenden Pressekonferenz präzisierte Göncz bezüglich Schengen: "Ungarn hat es geschafft", dies sei beim EU-Monitoring festgestellt worden. Dem Nachbarn Slowakei, der bei den Schengen-Anforderungen Probleme hatte, habe Budapest Hilfe angeboten.
Göncz sprach sich für qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der erweiterten EU aus, um "die Wirksamkeit der Union zu stärken". Den Verfassungsvertrag hält sie für sehr wichtig und hofft, "dass die Hauptmerkmale (im bestehenden Entwurf, Anm.) erhalten bleiben". Amtskollegin Ursula Plassnik (V) deponierte: "Wir brauchen Spielregeln", diese müssten aber laufend adaptiert werden. Die Verfassung solle "nicht zu einem Fetisch hochstilisiert werden". Die ungarische Außenministerin sieht Europa gewissermaßen in einem Dilemma. Es brauche Zeit, sich zu konsolidieren, werde aber andererseits durch die neue Konkurrenz, besonders aus Asien, gezwungen, rasch Maßnahmen zu treffen, "um wettbewerbsfähig zu bleiben".