Mit dem Start der Leseranwaltschaft verfügt Österreich wieder über eine Medien-Selbstregulierung in medienethischen Fragen. Die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung wurde erst jüngst rund um die Geiselnahme in einer Wiener Bank von verschiedenen Experten betont. Ein Journalist einer Tageszeitung hatte während der laufenden Geiselnahme ein Telefon-Interview mit dem Geiselnehmer geführt. Ein Presserat beziehungsweise eine Leseranwaltschaft, die sich in solchen Fällen mahnend zu Wort melden könnten, fehlen aber seit rund fünf Jahren.

Bis zum Dezember 2001 lag die mediale Selbstkontrolle in Österreich in der Hand des Presserats, der 1961 ins Leben gerufen worden war. Dann hatte der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) - als einer von vier Trägern - seine Mitwirkung beim österreichischen Presserat aufgekündigt. Verhandlungen mit der Journalistengewerkschaft als zweite große Trägerorganisationen über eine Reform und Fortführung waren gescheitert. Mitte 2002 hatte der VÖZ den Presserat dann endgültig verlassen. Übrig blieben die Journalistengewerkschaft, der Österreichische Zeitschriftenverband (ÖZV) und der Presseclub Concordia.

Formal bestand der Presserat in den vergangenen Jahren zwar weiter, de facto war das Selbstkontrollorgan der Medien nach dem Austritt der Verleger aber tot. Versuche, neue Formen einer sozialpartnerschaftlich organisierten Selbstkontrolle zu finden, verliefen ergebnislos. Zu groß war das Misstrauen auf beiden Seiten, der eine oder andere "Hardliner" verunmöglichte darüber hinaus das Finden einer vernünftigen Kompromissformel.

2004 wurde unter dem Vorsitz des heutigen Chefredakteurs der Tageszeitung "Österreich", Claus Reitan, der Verein der Chefredakteure gegründet. Die Chefredakteure initiierten ein Alternativmodell zum Presserat, die so genannte Leseranwaltschaft, die als eine Art "Beschwerde-Ombudsmann-Vermittlungsstelle" fungieren soll. Die Entwicklung dieses Modells zog sich über viele Monate, wurde in der Folge beim Medienhaus Wien angesiedelt. Diese Woche nimmt die neue Leseranwaltschaft nun ihre Arbeit auf.

Die Verleger stehen der Initiative positiv gegenüber, aus der Journalistengewerkschaft gab es in Richtung der Chefredakteurs-Initiative hingegen immer wieder kritische Stimmen. Der VÖZ hatte zuletzt aber auch die Einrichtung von Ombudsleuten bei den Medien selbst propagiert. Bei diesem Modell, das etwa in der Schweiz oder in Spanien praktiziert wird, kümmert sich ein hauseigener Ombudsmann um Beanstandungen von Lesern. Beschwerdemanagement und medienethische Vorgaben werden so vom jeweiligen Medienverlag selbst übernommen.

Als höchst notwendig wird die Einrichtung einer Leseranwaltschaft auch deshalb betrachtet, weil es in den vergangenen Jahren aus der Politik Signale gab, von Regierungsseite ein medienethisches Kontrollorgang aufzustellen, falls es nicht wieder zu einer funktionierenden Selbstregulierung der Medien kommen sollte. Als warnendes Beispiel gilt Medienverlagen die Situation in Irland. Mangels eines Presserates und mangels Selbstregulierungsmechanismen in den einzelnen Medienunternehmen hat die irische Regierung die Mediengesetze drastisch verschärft. Darüber hinaus gab es Überlegungen für einen gesetzlichen Presserat, in dem die Regierung das Nominierungsrecht für die Mehrzahl der Mitglieder des Gremiums hätte. Der Weltzeitungsverband WAN und das International Press Institute haben deshalb vor einer Gefährdung der Pressefreiheit gewarnt. (APA)