Von Sex "in abundance" berichten Joseph Lovetts Interviewpartner, mit Fotomaterial in abundance wartet seine Dokumentation "Gay Sex in the 70s" auf.

Foto: Identities
Kurz gesagt: Es muss eine spektakuläre Zeit gewesen sein (vorausgesetzt man war am richtigen Ort) - das ist der Eindruck, den alle, aber auch wirklich alle für "Gay Sex in the 70s" interviewten Zeitzeugen mit verklärtem Lächeln vermitteln. Einer, dem der Brocken "the most libertine period since Rome" zum Assoziieren vor die Füße geworfen wird, kommentiert dies knapp mit: "And it was."

US-Regisseur Joseph Lovett rekonstruiert für seine Dokumentation eine Ära, die im Rückblick nahezu irreal erscheint - selbst denen, die damals aktiv beteiligt waren. Allerdings wartet Lovett mit einer riesigen Menge an Fotos - großteils privaten - und Filmszenen auf, die die Erzählungen der interviewten Männer illustrieren. Zusammen ergeben die Bild- und Tondokumente das Bild einer gänzlich unbeschwerten Ära des schwulen Hedonismus im New York der 70er Jahre, in der zwangloser Sex zu jeder beliebigen Tageszeit in Bars, Saunas, Cruising-Arealen wie den Piers oder einfach nur auf dem Weg zur Arbeit zu finden war.

Davor, danach und was geblieben ist

Zeitlich wie örtlich ist das vergangene Utopia allerdings klar eingegrenzt: Außerhalb New Yorks und einiger weniger vergleichbarer Städte glich die Situation noch eher dem "Gay Sex in the 50s" oder jeder Zeit davor als dem freien Leben in der Großstadt; aber nur kurz gehen Interviewte auf ihre Landflucht ein, Lovetts Fokus liegt ausschließlich auf New York. - Und zeitlich bilden der Stonewall-Aufstand von 1969 samt dem dadurch ausgelösten rapiden gesellschaftlichen Wandel und das Erkennbarwerden der Aids-Epidemie 1981 die Markierungspunkte.

Dass die Epidemie davor schon längst in ihrer Inkubationsphase schwelte - in grausamer Ironie der Geschichte vorangetrieben von der gerade erst der Repression abgetrotzten sexuellen Freizügigkeit -, ist Lovetts Zeitzeugen durchaus bewusst. Allerdings sehen sie auch den Schlüssel zum Kampf gegen Aids, zum Aufbau der Act Up-Bewegung und zur Stärkung der Gay Community selbst in ebenjener Zeit des Hedonismus, in den damals geschlossenen Freundschaften und Netzwerken auf privater Ebene. Auf die Frage, was an der damaligen Zeit das Beste gewesen sei, wird einer antworten: "Having friends, that was the best part." (Josefson)