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Nicht in der U-Bahn, wie so oft in Ostasien, sondern in der Börse gönnen sich diese Broker eine Pause.

Foto: Reuters/Haruyoshi Yamaguchi
Schlafen ist nicht gleich schlafen: Wie Menschen ins Reich der Träume gleiten und wo sie das tun, ist auf vielen Flecken der Erde sehr unterschiedlich. In einem Workshop am Ostasien-Institut der Uni Wien tauschten Kulturwissenschafter Erfahrungen zu kulturellen und sozialen Aspekten des Schlafens aus.

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Dösende Firmenchefs während einer wichtigen Konferenz und reihenweise schlafende Menschen in der U-Bahn: Beides ist für Japaner kein ungewöhnlicher Anblick. "Inemuri" nennen sie diese Form des Schlafens, was "anwesend sein und schlafen" bedeutet. Dieses verbreitete Nickerchen zwischendurch erklärt auch, warum man in Japan im Schnitt mit weniger Stunden Schlaf auskommt als anderswo: "Inemuri gilt nicht als offizielle Schlafenszeit" erklärt die Japanologin Brigitte Steger vom Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien, die gemeinsam mit dem Soziologen Lodewijk Brunt vom Indien-Institut an der Universität Amsterdam den Workshop veranstaltete.

Das Nickerchen zwischendurch gibt es übrigens nicht nur in Japan. Auch in Indien gibt die Kultur des Napping, wie Brunt ausführte: "Die Menschen schlafen nicht nur in der Nacht, sondern zu jeder Tageszeit: in Stühlen, auf Autodächern, in Rikschas, auf dem Boden, im Restaurant oder im Kino." Die Nacht dagegen werde nicht ausschließlich zum Schlafen, sondern z. B. auch zu religiösen Tätigkeiten genutzt. Überhaupt seien die Grenzen zwischen Schlaf und Wachsein viel weniger klar als in der westlichen Kultur. Allerdings gebe es in Indien nicht nur eine einzige Schlafkultur. Unterschiede ließen sich etwa in Bezug auf Klima, Klasse, Kaste, Alter oder Beruf ausmachen.

Für Fremde ist es nicht immer einfach, mit der Kultur des geschwinden Nickerchens zwischendurch zurechtzukommen. Yumi Komatsu, Professorin an der Fremdsprachenuniversität in Tokio, untersuchte, wie internationale Studenten bei einem Studienaufenthalt in Japan im ersten Jahr den Umgang mit Schlaf erlebten. Häufig schliefen diese in Japan wesentlich weniger als in ihren Heimatländern. Viele sprachen von Schlafmangel, enormem Druck und Einsamkeit.

Weit weg von ihrem familiären Umfeld fehlten ihnen offensichtlich auch die eigenen kulturellen Strategien im Umgang mit dem Druck, unter dem sie real standen. Studenten aus asiatischen Ländern, der japanischen Kultur häufig näher, haben übrigens geringere Schwierigkeiten, wie die Studie ergab.

Rolle des Schlafes im Kindesalter

Mit der Rolle des Schlafes im Kindesalter beschäftigte sich Eyal Ben-Ari von der Hebräischen Universität in Jerusalem: kulturelle, soziale, psychologische, individuelle und körperliche Aspekte spielten hier herein.

Über das Schlafen werden auch ständig soziale Beziehungen verhandelt. Dem trotzigen Kind, das partout nicht ins Bett will, geht es vielleicht darum, seinen Willen durchzusetzen.

Die Eltern dagegen sind überzeugt, dass fixe Schlafenszeiten wichtig sind, oder sie wollen einfach den Abend für sich haben. Und der niederländische Geschäftsmann, der sich aus der Abendsitzung verabschiedet, weil er seinen Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen muss, kann dies tun, weil dies heute als "väterliches Verantwortungsbewusstsein" geschätzt wird.

Pia Vogler (Universität Oxford) berichtete von ihren Feldforschungen in einem burmesischen Flüchtlingslager in Nordthailand: Die nächtliche Angst der Flüchtlinge vor Naturkatastrophen, sexuellen Übergriffen, Gewalt und Diebstählen wird nur selten öffentlich thematisiert. Selbst Flüchtlingshelfer - in der Nacht nicht anwesend - wissen oft wenig über die Schlafenszeit in ihrem Lager.

Die Globalisierung spielt indes auch bezüglich des Schlafverhaltens eine Rolle: Zwar unterscheiden sich die Rituale vor dem Schlafen weltweit immer noch, das Mobiltelefon neben dem Bett ist inzwischen aber weltweit ein vertrautes Bild. "Der Schlaf ist auch mit der Angst des Kontrollverlustes verbunden", erklärt Steger. Neben der Weckfunktion kann das Gefühl, auch im Schlaf erreichbar zu sein, dem zumindest ein bisschen entgegenwirken. (Sabina Auckenthaler/DER STANDARD, Printausgabe, 13. Juni 2007)