Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war heute. Da habe ich dann die Flucht ergriffen – und bin aufgestanden. Obwohl ich eigentlich kein Frühaufsteher bin. Aber der Kindergarten im Nachbarhaus zwingt mich dazu. Vor allem im Sommer. Wegen des Lärms.

Aber das ist nicht die Schuld der Kinder. Außerdem fände ich es infam, Kindern das Lachen und Spielen zu verbieten. Erst recht, wenn nicht sie den Krach machen – sondern die Kindergärtnerinnen. Ob sie das tun, weil ich mich weigere, sie in meinem Kopf "Kindergartenpädagoginnen" zu nennen, kann ich nicht sagen. Da ich aber keine von ihnen je von Angesicht zu Angesicht gesehen habe und mit der Anrede "Tante" beleidigen konnte, glaube ich das eigentlich nicht.

Schnatterei

Egal: Denn die Kindergärtnerinnen nebenan sind laut. Sehr laut. Und zwar ab knapp vor sieben Uhr morgens: Da öffnet die erste Dame das Fenster in den Innenhof in den mein Schlafzimmer mündet – und beginnt mit den dann eintrudelnden Kolleginnen zu – jawohl – schnattern. Fröhlich, munter und sehr ausführlich. Bei offenem Fenster und in jener Lautstärke, die man eben braucht, um danach ein Rudel von quirligen Zwergen in Zaum halten zu können.

Ich weiß: Ich bin eine Minderheit. Gemäß irgendwelchen regelmäßig veröffentlichten Statistiken, steht der Durchschnittsösterreicher etwa um sechs Uhr früh auf. Weil er auch gegen 22 Uhr schlafen geht. Und: Ich weiß: Kinderbetreuung ab den frühen Morgenstunden ist etwas ganz ganz Wichtiges. Und Kindergartenpädagoginnen werden – gerade wenn man die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastet, einmal erkannt hat – unter jeder Sau bezahlt. Privilegierte Langschläfer, die sich da noch über ihr kleines, morgendliches Kolleginnengespräch echauffieren, kommen nicht sympathisch rüber.

Wummern

Aber. In den Innenhof lüften halt auch Nicht-Durchschnittsmenschen. Etwa jener Mann, der jede Nacht um zwei Uhr morgens (von der Türsteher-Arbeit in einem "Etablissement") heimkommt – und sich mit grellen Musicals und schaurigen Balkan-Schlagern in den Schlaf wummert. Das dauert – ich konnte mit ihm reden und er hat jetzt eine Zeitschaltuhr eingebaut – zwar immer nur eine halbe Stunde, ist aber dennoch, wenn man nicht gerade in einer Tiefschlafphase ist und drübermützt – jedes Mal ein Horror. Und: Ich muss halt nicht um sieben Uhr wach sein.

Früher hatte das Kindergärtnerinnengeplapper etwas Campingplatzartiges. Weil die Damen sich Kaffe brühten und der Geruch sich dann mit Geplapper und dem Gelächter durch den Licht- und Innenhof mäanderte - und mich langsam wach kitzelte. Blöderweise wechselte irgendwann ein Teil des Personals: Im Geplapper tauchte eine kreischende Stimme auf und wurde dominant. Aus dem Kaffeeduft wurde Lös- und Feigenkaffeedampf – plus Zigarettengeruch. Und irgendwann waren dann zwar Tschickgestank und Billigkaffeegeruch wieder weg – aber die kreischende Tante blieb. Und – ganz ehrlich – ich habe weder Lust mit Referaten über Verdauungsprobleme noch über Schilderungen des Intimlebens mir unbekannter Frauen aufgeweckt zu werden.

Packerlsuppe

Irgendwann setzten die Damen nebenan dann aber noch eins drauf: Sie kochten. Für einen ganzen Kindergarten. Und – natürlich – ab sieben Uhr früh. Manchmal auch ab halb sieben: Der tägliche Geruch von 20 Liter Packerlsuppe, der da in aller Herrgottsfrüh mein Schlafzimmer erfüllte, war aber – scheint es – sogar meinem tauben Balkanschlagernachbarn zu viel: "Ich höre im Schlaf nix – aber der Geruch war die Hölle", erzählte er mir einmal auf der Straße. Ich will gar nicht genau wissen, was er dann getan hat – aber die Kocherei endete so plötzlich, wie sie begonnen hatte.

Neulich traf ich den Nachbarn dann auf der Straße. Er nahm mich am Arm: "Weißt du, was mich wundert?" Ich schüttelte den Kopf: "Man müsste doch auch Kinder hören. Manchmal wenigstens. Tagsüber. Aber da ist nix. Nie. Das macht mir manchmal beinahe Angst." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 21.6.2007)