100 Sitzmöbel in der Studiensammlung des Museums für angewandte Kunst.

Foto: mak
"Design ist nicht schlechter als Kunst. Überhaupt nicht. Aber halt anders. Und Designer können auch Künstler sein, aber halt zum Beispiel keine Maler. Und Köche wiederum können Designer sein. Das hat aber nichts mit dem zu tun, wie ihre Mahlzeit schmeckt, sondern, wie sie hergerichtet ist", sagt Johnny. Johnny ist elf. Schaut aber aus wie zwölf. Und heißt wirklich Johnny, genauer gesagt John.

Es ist nicht so, dass man Johnny jedes Wort aus der Nase ziehen müsste, wie ein Wasserfall redet er allerdings auch nicht. Coolness im Anflug könnte man sagen. Was er nicht ausstehen könnte, wäre ein giftgrünes oder pinkes Bett aus Plastik. Muss er auch nicht. Johnny ist recht zufrieden mit seiner Umgebung. Ob es viel Design gibt, bei ihm zu Hause. "Hm", meint er, und - "Bilder gibt's viele zu Hause." Aber die sind ja, wie wir von ihm wissen, kein Design. "Aber die Rahmen, die kann man designen", setzt er nach.

Johhny mag es, auf Sofas zu liegen. Nicht, weil vor diesen in der Regel der Fernseher steht, nein, der Bub liest auch gerne. Der Titel des aktuellen Buches fällt ihm gerade nicht ein, aber es ist ungefähr so dick, sagt er und beschreibt mittels Zeigefinger und Daumen gute fünf Zentimeter.

Bis hoch hinauf

Angesichts der 100 Sitzmöbel in der Studiensammlung des Museums für angewandte Kunst, wo wir Johnny an einem Montag nach der Schule treffen, schaut er mit großen Augen. Es scheint ihm zu gefallen, wie sie da so stehen, in Reih und Glied, die Sofas, Chaiselongues und Sessel. Ein großer Teil hängt bis hoch hinauf an der Wand. Ob er uns ein Stück zeigen kann, das ihm besonders gefällt, das er vielleicht gern mit nach Hause nehmen würde, in sein Zimmer, wo übrigens meist ein rechter Saustall herrsche. "Ich räum' nicht freiwillig auf, weils mich ja nicht stört", so der grade Michel Johnny, der in seiner Auswahl nicht lange herumfackelt. Keine Minute vergeht, ehe er vor einem wahren Ungetüm an Möbelstück stehen bleibt. Cool? Nun, wenn man an einen Waldschratkönig aus einem Fantasyroman denkt, schon. Die Herkunft des Stückes ist aber eine andere. "Geweihmöbel von 1858, aus dem kaiserlichen Jagdschloss Neuberg an der Mürz, Hirschgeweih, Rips-Velours, Ziernägel aus poliertem Horn", ist zu dem gehörnten Sessel zu erfahren. "Irgendwie kitschig, aber schon auch schön, ein bisschen übertrieben, aber cool", so die jugendliche Expertise, die so ergänzt wird: "Übertriebenes ist schon okay, aber das Übertriebene kann man leicht übertreiben".

Unterhalb des grünen Ungetüms, das hirschgeweihspitz heraussticht aus der weltweiten Flut an Sitzmöbeln, hat Johnny jenes Stück entdeckt, das er zum gemütlichsten der gesamten Studiensammlung auserkoren hat: Ein fettes und gestreiftes Fauteuil, das ein wenig an Großtantenbesuche, Kakao mit Haut obendrauf und Mottenkugeln erinnert. Wissenschaftlich betrachtet heißt es: "Armchair 1923/24, für das Schlafzimmer von August und Serena Lederer, Design: Eduard Josef Wimmer-Wisgrill" - dieser lernte einst bei Koloman Moser.

Die nächste Aufgabe fällt Johnny bei aller Coolness nicht leicht. Es geht darum, das, sagen wir, am wenigsten attraktiv erscheinende Möbelstück zu bestimmen. Aber auch bei diesem heiklen Job, Johnny will schließlich niemanden beleidigen, ist er flink wie ein Wiesel und zielstrebig wie ein alter Kuratoren-Fuchs. Die wenig rühmliche Auszeichnung geht an die Nummer 11, ein äußerst reduziertes Stück, Marke alter Küchenstuhl vom Dachboden für die Studentenbude, zum Teil grün gestrichen und ganz oben an der hohen Wand hängend. Und warum die Nummer 11, von der es heißt, "Wien um 1930, Weichholz, grün gestrichen, Zirbenholz massiv"?

Marketing und Werbung

"Nun, er ist nicht schrecklich, aber er ist einfach nicht schön, und er hat's halt schwer gegen die anderen", so der Schüler, der wie zum Trost für das Stück oder dessen unbekannten Erschaffer nachsetzt, "Ich mein', es gibt bestimmt hässlichere Sessel, aber halt nicht hier herinnen." Das Einfache störe ihn nicht an dem Stück, schließlich sei sein Nachbarsessel auch sehr einfach, aber halt viel, viel schöner.

Ob denn Designer ein Job für ihn wäre, irgendwann einmal, nach der Schule? "Ich denke, das ist sicher ein interessanter Beruf, aber man muss sich halt auch bei Marketing und Werbung auskennen, damit die Leute auch wissen, dass es einen gibt", so Johnny. Schriftsteller oder Regisseur zählten zu seinen Berufswünschen. Bis vor einer Woche. "Dann war plötzlich der Reiz weg", so Johnny. Neuen Reiz gibt's bis dato keinen.

"So und jetzt fällt mir nichts mehr ein", meint Johnny, während er zappelig auf dem für Aufseher bestimmten Metallsessel hin- und herrutscht, eine Reedition von Xavier Pauchards "A 56" aus 1934. Eine Frage geht sich aber doch noch aus. Wie gefällt ihm denn dieses silbern glänzende Stück? "Nun, er ist ziemlich hart, aber auf jeden Fall schöner als Nr. 11." (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/29/06/2007)