Brüssel - Einer der größten Fans der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel dürfte derzeit der portugiesische Ministerpräsident José Socrates sein. Denn wenn Merkel am Wochenende die EU-Ratspräsidentschaft turnusgemäß an Portugal weiterreicht, übergibt sie Socrates ein ordentlich bestelltes Haus. Nach dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche sind die Scherben des gescheiterten Verfassungsentwurfs zusammengekehrt; mit der Einigung auf Grundzüge eines neuen Vertrags verfügt die EU sozusagen über eine neue Hausordnung.

Nicht viel Verhandlungsspielraum

Fertig ist der Reformvertrag allerdings noch nicht. Über die Feinheiten muss eine Regierungskonferenz verhandeln, die nun unter portugiesischer Ratspräsidentschaft tagen wird. Das auf dem Gipfel beschlossene Mandat für diese Konferenz lässt aber nicht viel Verhandlungsspielraum: Zu allen heiklen Fragen listet es sorgfältig ausformulierte Kompromisse auf, komplett mit Fußnoten zu Sonderwünschen einzelner EU-Staaten. Wer diese mühsam errungenen Kompromisse in der Regierungskonferenz wieder aufschnüren wollte, müsste schon verdammt gute Nerven haben.

Noch eine Menge Arbeit

Trotzdem hinterlässt die deutsche Ratspräsidentschaft ihren Nachfolgern noch eine Menge Arbeit. Besonders die im März vereinbarten EU-Klimaschutzziele, für die Merkel großes Lob einheimste, haben es in sich: Zwar haben sich auf Drängen der Bundeskanzlerin alle EU-Regierungen dazu bekannt, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um ein Fünftel unter das Niveau von 1990 zu drücken. Auch eine Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien auf 20 Prozent wurde vereinbart. Nur: Wie genau die EU diese Ziele erreichen soll, ist noch offen.

Klar ist: Niemand kann erwarten, dass alle EU-Staaten im Jahr 2020 ein Fünftel ihres Energieverbrauchs mit Wasser- und Windkraft, Solarenergie oder Biomasse bestreiten werden. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen. In Lettland wird schon heute über ein Drittel 36 Prozent des Energiebedarfs aus Wasserkraft gedeckt, in Malta liegt der Anteil erneuerbarer Energien unter einem Prozent. Die EU-Staaten müssen sich daher auf eine Lastenverteilung verständigen, um bis 2020 einen Durchschnittswert von 20 Prozent zu erreichen.

Wortgefecht zwischen Merkel und Putin

Ganz ähnlich sieht es bei der Reduzierung der Treibhausgase aus. Einen Vorgeschmack auf die Debatten, die hier zu erwarten sind, gab im Frühjahr der Streit über die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Ziele zur Minderung des Kohlendioxid-Ausstoßes von Neuwagen. Ganz im Sinne ihres Vorgängers, des Autokanzlers Gerhard Schröder, warnte Ratspräsidentin Merkel damals laut und deutlich vor Nachteilen für deutsche Autohersteller.

Deutlich distanzierter als Schröder ging die Bundeskanzlerin dagegen mit Russland um. Auf dem EU-Russland-Gipfel in Samara lieferte sich Ratspräsidentin Merkel vor laufenden Kameras ein heftiges Wortgefecht mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Anlass war ein Anreiseverbot für den Oppositionspolitiker Garri Kasparow.

Blockade durch Handelsstreit zwischen Moskau und Warschau

Zu retten war der Gipfel zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon nicht mehr: Die geplante Aufnahme von Verhandlungen über ein neues Kooperations- und Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und Russland wurde und wird durch einen Handelsstreit zwischen Moskau und Warschau blockiert. Der deutschen Ratspräsidentschaft gelang es ebenso wenig wie zuvor den Finnen, Putin zur Aufhebung eines Einfuhrverbots für polnische Landwirtschaftsprodukte zu bewegen. Dabei wurde sowohl Deutschland als auch Finnland ein vergleichsweise gutes Verhältnis zu Russland nachgesagt - vielleicht hilft es Portugal ja, in dieser Hinsicht gänzlich unbelastet zu sein. (AP)