Wien – Dicke Luft herrschte Montagabend im brechend vollen Festsaal der Bezirksvorstehung Favoriten – und zwar in jeder Hinsicht. Zu der von der FPÖ beantragten Bürgerversammlung zur Zukunft des Ernst-Kirchweger-Hauses (EKH) waren so viele Menschen gekommen, dass die Polizei den Ansturm kurzfristig stoppen musste. Jene, die es in den Saal geschafft hatten, mussten sich den knappen Sauerstoff teilen – wobei die in der Mehrzahl EKH-feindlichen Anrainer und die an Dreadlocks und Piercings erkennbaren Sympathisanten wohl nicht mehr so oft auf so engem Raum zusammen kommen werden.

Dementsprechend aufgeheizt war die von ORF-Redakteur Peter Resetarits moderierte Debatte, die von Rufen nach mehr Polizei und Unverständnis gegenüber den EKH-Bewohnern dominiert war. "Die Gemeinde Wien stellt Anarchisten kostenlos ein Haus zur Verfügung", echauffierte sich ein Anrainer über die Ankündigung von Christian Neumayer vom Fonds Soziales Wien (FSW), das autonome Zentrum um zwei Millionen Euro vom derzeitigen Eigentümer, der Porr-Tochter Enola, zu übernehmen. Eigentümer wird eine GmbH, deren Gesellschafter die FSW-Tochter "wieder wohnen" sowie der Dachverband der vier im EKH untergebrachten Vereine (zwei türkische Organisationen, der Dachverband serbischer Kulturvereine und der Verein für Gegenkultur) sein werden.

Dass die Nutzer eine symbolische Miete und alle Betriebs- und Energiekosten zahlen werden, wie Wolfgang Sperl vom FSW beteuerte, konnte die wenigsten überzeugen, dass es sich nicht um "Sozialschmarotzer" handelt. Hauptsächlich konzentrierten sich die hochemotionalen Wortmeldungen auf Lärm, Gestank und Verschmutzung in der Wielandgasse. "Dieser Teil von Wien 10 ist eine Schande", befand ein älterer Herr, der sich vor allem über Graffiti ärgerte; "das Herz von Favoriten ist ein Sauhaufen", beschwerte sich eine Frau, jeweils quittiert von Applaus.

Angst und Toleranz

"Ich trau mich in die Gegend gar nicht hinein", brachte ein seit 25 Jahren im Bezirk ansässiger Mann die im Publikum vorhandene Angst vor Drogendelikten und anderen Verbrechen auf den Punkt. Michael Lepuschitz, Stadthauptmann der Polizei Favoriten, zeichnete jedoch ein ganz anderes Bild: "Das EKH stellt aus sicherheitspolizeilicher Sicht kein Problem dar." Dem Einwand "Ihr kommt's eh net, wenn wer anruft" begegnete Lepuschitz mit dem Verweis auf die Personalsituation in der Polizei, die eine Prioritätensetzung notwendig mache: "Straftaten wie Raubüberfälle und Körperverletzung passieren in anderen Bezirksteilen. Favoriten führt bei Gewaltdelikten in der Familie. Das hat Vorrang."

"Wir werden aus dem EKH ein Haus machen, das sich in ganz Österreich sehen lassen kann", warb Bezirksvorsteherin Hermine Mospointner (SP) für ein "friedliches Miteinander" und appellierte an die "Menschlichkeit und Toleranz". Der Meinung waren auch vereinzelte Anrainer, wie eine 63-jährige Dame, die im EKH eine "lebendige und offene Kunstszene" kennengelernt hat. Oder ein grauhaariger Mann, der an den Namensgeber des Hauses, den Antifaschisten Ernst Kirchweger, erinnerte. "Die Leute, die dort wohnen, sind am allerwenigsten kriminell oder asozial." Von EKH-Seite meldete sich allein ein Vertreter der "Föderation der Arbeiter und Jugendlichen aus der Türkei in Österreich" (ATIGF) zu Wort: Er entschuldigte sich für die Lärmbelästigungen und lud alle zu einem Besuch ins Vereinslokal ein.

Weil das nicht reichen wird, sollen eine professionelle Hausverwaltung, regelmäßige Gespräche zwischen Anrainern und EKH-Vertretern sowie Lärmschutz- und Sanierungsmaßnahmen für Ruhe im Grätzel sorgen. "Geben Sie uns eine Chance", bat Sperl eindringlich. Das änderte nichts am Fazit eines Anrainers beim Verlassen des Saals: "Die gehören ausse'trieben." (Karin Krichmayr, DER STANDARD - Printausgabe, 4. Juli 2007)