Josef Penninger: "Im Grunde stehen wir vor denselben Fragen, die sich Forscher schon vor 100 Jahren gestellt haben. Doch zur Beantwortung braucht es heute Großforschungseinrichtungen."

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Der Molekularbiologe Josef Penninger leitet seit knapp vier Jahren das Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) in Wien. Mit Klaus Taschwer sprach er darüber, was in den USA anders läuft, wohin die Forschung geht und was medizinisch kommen wird.


Standard: Sie haben bis vor vier Jahren in Nordamerika geforscht und leiten seitdem ein Forschungsinstitut in Wien. Was ist drüben anders als hier?
Penninger: Wenn ich mit dem beginnen soll, was drüben besser ist, dann würde ich zuerst die sehr viel weniger hierarchischen Strukturen nennen. Deshalb hat es auch der Forschernachwuchs in Nordamerika besser. Ein anderer großer Vorteil in den USA ist der, dass die Drittmittel mit riesigen Overheads kommen. Hier ist es umgekehrt so, dass ich Gefahr laufe, die Infrastruktur nicht finanzieren zu können und "bestraft" werde, wenn ich viele Drittmittel einwerbe.

Standard: Wird die Forschung drüben insgesamt besser gemanagt?
Penninger: Ein wichtiger Unterschied besteht sicher darin, dass die meisten Leute, die Unis leiten oder andere wichtige Positionen innehaben, selbst hervorragende Wissenschafter sind. Das würde ich mir auch für Europa wünschen.

Standard: Haben Sie noch andere Wünsche?
Penninger: Horizontalere, weniger hierarchische Strukturen und strikt internationale Evaluationen. Außerdem wären Steuerbegünstigungen für Forschungsförderer wichtig. In den USA kommt sehr viel Geld aus privater Hand. Private Wissenschaftsförderung hat dort einen ganz anderen Stellenwert.

Standard: Um in die andere Richtung zu blicken: Wie sehen Sie als Honorarprofessor der Chinesischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften die Entwicklungen dort?
Penninger: In China passiert zurzeit enorm viel für die Forschung. Ganz ähnlich ist es in Singapur und einigen anderen ostasiatischen Ländern. Fast alle Institute in China, die ich mir bei meinem letzten Besuch angeschaut habe, wurden neu gebaut. Ich werde im August wieder nach Beijing fahren, um über eine Kooperation zu diskutieren. Die heuern wirklich aggressiv an.

Standard: Wie soll man mit dieser Herausforderung am besten umgehen?
Penninger: Die US-Amerikaner – aber auch europäische Einrichtungen – haben längst begonnen, ihre eigenen Institute in Asien zu errichten. Umgekehrt ist es wichtig, aktiv asiatische Studenten nach Europa zu holen und sie hier studieren zu lassen.

Standard: Solche Formen des gezielten Headhunting müsste man an den hiesigen Universitäten erst einführen...
Penninger: An vielen Kunstuniversitäten existiert das schon lange. An die Musikuniversität in Wien kommen die besten Studenten aus aller Welt. Und das sollten wir auch in der Wissenschaft schaffen – zumindest bei ein paar Institutionen. Es ist ja in den USA auch nicht so, dass alle Unis Weltklasse wären.

Standard: Wie beurteilen Sie die forschungspolitische Lage in Österreich?
Penninger: Die Regierung hat zwar einiges getan, aber zugleich fehlt noch oft der Mut, fundamentale Änderungen zu machen. An der Akademie der Wissenschaften gibt es etliche sehr gute Institute. Warum nicht einmal viel Geld in die Hand nehmen, um diese gezielt zu fördern und nach fünf Jahren international zu evaluieren?

Standard: Gibt es mit dem ViennaBioCenter und ein paar anderen Einrichtungen nicht schon solche gut geförderten Exzellenzzentren?
Penninger: Österreich hat sicher ein paar Leuchttürme der Forschung. Dazu zählen die Quantenphysik, die Mathematiker und auch das Biocenter. Das hat sicher eine Mannschaft, mit der man in der Europäischen Championsleague mitspielen kann. Aber der Kader ist noch nicht groß genug, dass wir uns in dieser Liga auch halten können.

Standard: Woran forscht man denn heute in der Liga? Und wohin geht es?
Penninger: Wissenschaft wurde immer sehr stark von neuen Technologien angetrieben. Im Grunde stehen wir vor denselben Fragen, die sich Forscher schon vor 100 Jahren gestellt haben. Ich habe meine Forscherkarriere mit Knockout-Mäusen begonnen. Zehn Jahre vorher waren monoklonale Antikörper der letzte Schrei. Der große Trend geht heute meines Erachtens in Richtung Systembiologie.

Standard: Was bringt das eigentlich? Penninger: Damit kann man im ganzen Genom nach bestimmten Genen suchen – also zum Beispiel nach jenen, die Schmerz oder Krebs kontrollieren. Ein anderer großer Trend ist sicher, dass die Forschung am Menschen in den nächsten Jahren viel stärker im Vordergrund stehen wird, weil uns das die neuen Methoden und Technologien erlauben.

Standard: Können Sie ein Beispiel dafür geben?
Penninger: In Harvard gibt es ein Projekt, die Gene von Menschen mit ganz bestimmten Herzerkrankungen zu sequenzieren, um bestimmte Polymorphismen – also kleine Abweichungen in der Erbsubstanz – zu finden, die diese Erkrankungen kontrollieren helfen. In England hat sich etwa Steve O’Reilly pathologisch dicke Kinder gesucht und macht mit ihnen dasselbe.

Standard: Ist damit auch die Molekularbiologie zur Big Science geworden?
Penninger: So könnte man es sagen. Der ganze Wissenschaftsbetrieb hat sich jedenfalls fundamental geändert. Den einsamen Wissenschafter in seiner Kammer oder auch die kleine Forschergruppe im Labor gibt es heute kaum mehr. Wir stellen uns zwar die gleichen Fragen wie vor Jahrzehnten, doch zur Beantwortung braucht es heute wirklich Großforschungseinrichtungen und die entsprechenden Technologien.

Standard: Welche Auswirkungen hat das auf die Medizin der Zukunft? Als ein Trend gilt die personalisierte Medizin, also eine genetisch abgestimmte Behandlung...
Penninger: Für die nächsten zehn, fünfzehn Jahre kann ich das nicht sehen. Da steckt ja vor allem die Pharmaindustrie dahinter, die neue Subgruppen von Patienten haben wollen. Aber für eine wirklich personalisierte Medizin müsste ich eigentlich alle Gene jedes Menschen kennen, um die Behandlung auf eine vernünftige wissenschaftliche Basis zu stellen.

Standard: Als die andere große Hoffnung gelten die Stammzellen. Penninger: Ich denke, dass wir von vernünftigen und sinnvollen Anwendungen noch ziemlich weit weg sind. Mit den Stammzellen könnte im schlimmsten Fall das passieren, was mit der Gentherapie passiert ist: dass der ganze Ansatz durch Unfälle zurückgeworfen wird. Stammzellen werden sicher irgendwann unsere Medizin revolutionieren, und ich bin auch ein starker Befürworter embryonaler Stammzellforschung. Doch bis das für die breite Bevölkerung anwendbar wird, dauert es sicher noch zwei, drei Jahrzehnte. Ich täusche mich aber gerne. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 4.7. 2007)