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Vielleicht wäre Fauser heute noch immer ein Tourist im eigenen Leben – einer, der nicht ganz dazugehört, ein poetischer Beobachter.

Foto: Archiv Alexander-Verlag

Im Herbst 2007 wird der 8. Band der Jörg-Fauser-Edition "Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959–1987" erscheinen. Alexander Verlag

Am 16. 7. 2007 findet eine "Geburtstagsfeier für Jörg Fauser" in der Berliner Joseph-Roth-Diele statt. Freunde und Fans sind herzlich willkommen! Joseph Roth

Zum 20. Todestag von Jörg Fauser findet am 17. 7. 2007 die "Blaue Nacht" in den Münchner Kammerspielen statt. Es lesen unter anderen der Schriftsteller und Übersetzer Carl Weissner und der Schriftsteller Franz Dobler.

Buchcover: Alexander Verlag
DER STANDARD: Den typischen Fauser-Leser stellt man sich als 25- bis 35-jährigen Mann von düsterem Aussehen und leicht verwahrlostem Äußeren vor. Schreibt Fauser Männerliteratur?

Alexander Wewerka: Was finden Sie denn so männlich an Fauser? Natürlich wird in seinen Büchern, es handelt sich zum Teil um Krimis, mal eine Pistole gezückt und ein Spruch abgelassen. Das gehört dazu. Sagt man, Raymond Chandler schreibe Macho-Literatur, weil da eiskalte Blondinen mit blauen Augen sitzen? Nein, ich habe nie gehört, dass man Chandler vorwirft, Männerliteratur zu schreiben. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Fauser die Sexualität nicht außen vor lässt, oder über Prostituierte schreibt und sagt, dass er sie auch aufsucht. Ich weiß es nicht.

DER STANDARD: Fauser hat also die Dresche aus der feministischen Ecke zu Unrecht eingesteckt?

Wewerka: Ich höre diesen Vorwurf, der mich mittlerweile ermüdet, weil die Argumente fehlen, immer wieder. Ich muss aber zugeben, wenn ich Rohstoff zehn Frauen und zehn Männern zum Lesen gebe, finden das Buch vier Frauen, aber acht Männer gut. Natürlich schreibt da ein Mann aus seiner Sicht. Vielleicht kann man sich als Mann besser mit dieser Literatur identifizieren.

Es gibt von Fauser ziemlich böse Texte, etwa politische Glossen. Ein Text heißt "Emmas Rache", es geht darin um einen Parteitag der Grünen, an dem drei Frauen – alle mit Doppelnamen – die Macht übernehmen. Für die Art, wie er das schreibt, hat er in der Tat unheimlich viel Prügel aus der feministischen Ecke verdient. Das ist aber nunmehr 20 Jahre her. Wenn man den Text heute liest, kann man sich eigentlich nur darüber kaputtlachen, wie er das beschreibt. Fauser hat sich immer mit allen angelegt, das hat mit seinem, wenn man so will, unbestechlichen Blick zu tun, den ich heute gar nicht als Provokation, sondern als sehr distanzierte, kalte Draufsicht verstehe. Fauser war ein sozial fühlender Alternativer, der sich selbst als Anarchist bezeichnet hat.

DER STANDARD: Oft wird Fauser das Etikett des Außenseiters angeheftet, er wollte aber durchaus auch dazugehören, konnte es aber nicht.

Wewerka: Das halte ich für eine Spekulation. Fauser war 43 als er starb – und ziemlich arriviert. Er lebte in München, war verheiratet und hatte einen Vertrag mit dem Hoffmann und Campe Verlag in der Tasche. Er hat für TransAtlantik geschrieben, es gab Spiegel-Artikel von ihm, und er war SPD-Mitglied. Das mit dem Außenseiter trifft auf diese Phase sicherlich nicht zu.

Ich habe über 13 Ecken Gerüchte gehört, er habe sich mit dem Gedanken getragen, nach Asien auszuwandern. Wie er heute wäre, ist im Nachhinein Kaffeesudleserei. Vielleicht würde er in der Lüneburger Heide leben und leise schreiben, vielleicht wäre er wieder in Berlin und würde seine Kolumnen raushauen. Ich bin aber der festen Überzeugung, er wäre immer noch ein Tourist im Leben – einer, der nicht ganz dazugehört, ein poetischer Beobachter. Das beschreiben schon seine frühesten Texte, es handelt sich vor allem um Buchkritiken, die Fauser – damals noch keine zwanzig – schrieb. Unglaublich genaue, sehr starke Texte vor allem über Lyriker.

DER STANDARD: Wie sind Sie dazu gekommen, das nicht unbeträchtliche Risiko auf sich zu nehmen, das vergriffene Werk Fausers wieder herauszugeben. Wewerka: Jakob Arjouni, fragte mich, ob ich Rohstoff von Fauser kennen würde. Ich kannte nur den Namen des Autors und besorgte mir das Buch antiquarisch.

Nach einigen Seiten Lektüre wusste ich, dass ich das Buch unbedingt verlegen wollte. Im Verlauf meiner Recherchen bin ich dann auf Fausers Witwe Gabriele gestoßen, die sagte, sie könne sich nur eine Werkausgabe vorstellen. So habe ich mich dann durch das Werk gelesen und fand einen Text besser als den anderen.

DER STANDARD: Was fesselt Sie besonders an dieser Literatur?

Wewerka: Fauser ist für mich einer der ganz großen deutschsprachigen Schriftsteller, weil er eine für den deutschen Sprachraum sehr untypische Eigenschaft hatte, nämlich zugleich spannend und sehr genau und poetisch schreiben zu können. Außerdem geht er nie unter ein bestimmtes Niveau. Diese – sagen wir – angelsächsische Qualität ist mir bei deutschsprachigen Autoren selten untergekommen.

DER STANDARD: Fauser hat keine Stipendien oder Preise bekommen und wurde auch vom Literaturbetrieb abgelehnt. Wäre das heute anders?

Wewerka: Die Trennung von E- und U-Literatur ist im deutschen Sprachraum in den letzten Jahren aufgeweicht worden, auch durch die Pop-Literaten. Fauser wurde leider immer in die Unterhaltungsschriftsteller-Ecke gestellt. Das merkt man heute noch. Bei einer großen deutschen Wochenzeitung gab man mir die Auskunft, Jörg Fauser sei nichts für dieses Blatt. Ich bekomme öfter Anrufe, oder treffe Leute auf Buchmessen, namhafte Verleger oder Lektoren, die, auf Fauser angesprochen, sagen, "ja, das ist doch der Krimi-Autor". Fauser wurde und wird von solchen Leuten nicht gelesen, das ändert sich nur langsam. Ein schönes Erlebnis hatte ich mit Frau Ruge vom Berlin-Verlag. Sie rief vor einigen Monaten an und wollte zehnmal Rohstoff, zehnmal Schneemann, alles gegen Rechnung. Sie meinte, das müsse sie an ihre Autoren verteilen. Ingo Schulze müsse das lesen. Fauser sei der Ingo Schulze der 70er- und 80er-Jahre gewesen. Ein gutes Beispiel, dass da jemand aus einem anderen Milieu Fauser für sich entdeckt und gesehen hat, wie gut der schreiben kann und wie breit das Werk gefächert ist.

DER STANDARD: Fauser hat gesagt: "Wenn Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich den Party-Service anheuern." Es gibt da einen entscheidenden Unterschied zu den sich "oben" befindenden Pop-Literaten wie Stuckrad-Barre, der für Sie ein Nachwort zu "Rohstoff" schrieb.

Wewerka: Natürlich gibt es Unterschiede. Das sieht man vor allem an den Essays. Da sind einige aus der späten Zeit dabei, aus 1986 und 1987, in denen Fauser über Neulinge auf dem Markt schreibt. Rainald Götz zum Beispiel steht für ihn für eine ganze Generation intellektueller Möchtegern-Punks, die dem Germanistik-Seminar entsprangen und sich beim Bachmann-Preis die Stirn aufschneiden, um damit aufzufallen – oder Diedrich Diedrichsen, über den er hämisch schreibt. Die Jungen heute wiederum verehren ihn sehr. Stuckrad-Barre zum Beispiel schätzt Fauser für das direkte Erlebt-haben, das Sich-Aussetzen. Er schätzt ihn auch dafür, dass Fauser keine Angst hatte, auch journalistisch oder publizistisch zu arbeiten. Stuckrad-Barre hat für Harald Schmidt geschrieben, macht Fernsehen, macht alles. Das werfen ihm auch viele vor – aber er lebt davon. Und er zieht keine Trennung zwischen seinem Leben, seiner Arbeit und verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen. Mal abgesehen vom Biografischen und Persönlichen, wenn man Fauser liest, muss man einfach zugeben, dass der Mann fantastisch schreiben konnte. Es ist für junge Autoren daher sicher toll zu sehen, dass es da jemanden gab, der etwas vorgelebt hat, Haltung bewahrte und einen Stil schrieb, der einfach sehr, sehr gut war.

DER STANDARD: Verkauft sich Fausers Werk heute?

Wewerka: Die Gedichte gehen schlecht. Rohstoff ist in der dritten Auflage, Fausers Marlon-Brando-Biografie wird in die zweite gehen. Wobei die Auflagen zwei- bis dreitausend Stück betragen. Da ich aber auf Theater- und Filmbücher spezialisiert bin, sind mir solche Auflagenzahlen durchaus vertraut. Ich habe Titel, die seit 20 Jahren lieferbar sind. Ein Kollege hat einmal gesagt, ich hätte keine Bestseller, aber Steady-Seller, und Fauser ist garantiert einer. (Interview: Stefan Gmünder/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 07./08.07.2007)