Vor dreißig Jahren zeigte man sich mit dem Straßenbauministerium fortschrittlich. Danach geschah nur wenig. Nun nimmt man die Zügel wieder in die Hand.

Fotos: STANDARD/Rodler
Wenn vom Osten die Rede ist, dann spähen die Immobilienhaie nach Rumänien und Bulgarien, bestenfalls in die Ukraine. Doch allmählich wird man auch in der georgischen Hauptstadt Tiflis hellhörig: Die ersten Investoren sind schon da, die ersten Bagger kommen in Bälde.

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Ein Abendessen mit Kerzenschein? Das mag Tata Kashridze ganz und gar nicht. Denn in Georgien bedeuten Kerzen auf dem Tisch, dass wieder einmal der Strom ausgefallen ist - und das passiert selbst in der Hauptstadt Tiflis mehrere Male pro Woche. Oft dauert die dunkle Nacht sogar mehrere Stunden. In den wenigen großen Hotels der Stadt springt dann der Notstromgenerator ein und übernimmt die Versorgung. Doch zu diesem Genuss kommen ausschließlich die Touristen.

Kein Grund zur Aufregung, immerhin ist seit einigen Tagen endlich wieder die Wasserversorgung in Betrieb. "Präsident Michail Saakaschwili hat in den USA angekündigt, dass Georgien die Schweiz des Kaukasus werden wird", sagt die 21-jährige Tata Kashridze, "da hat er wohl noch einiges zu tun." Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in der brüchigen Innenstadt von Tiflis. Jedes fünfte Haus wird nur noch durch gespannte Stahlstangen vor dem Einstürzen bewahrt. Durch Löcher in der Außenwand weht der Wind direkt ins Wohnzimmer.

Schlafen mit dem Wintermantel

Die Bewohner, die in den Plattenbauten am Stadtrand leben, haben es aber auch nicht besser. Im Sommer sind die vor zwei, drei Jahrzehnten errichteten Betonbauten nämlich brütend heiß, im Winter dafür praktisch nicht zu heizen. An der Außenwand fehlt die Isolierung. Und daher nimmt man diese mit ins Bett: Geschlafen wird im Wintermantel. Desolat sind auch die Allgemeinflächen, denn im Zuge der rasch vorangetriebenen Privatisierung des Landes wurde darauf schlicht vergessen: Niemand kümmert sich um die Erhaltung von Postkästen und Eingangstüren, Aufzüge in Wohnhäusern benutzen die Georgier generell nicht - sie wissen, warum.

In kaum besseren Zustand befinden sich die Bürobauten in Tiflis. Einzige Ausnahme sind die drei im westlichen Standard errichteten Office-Center. Trotz stattlicher Monatsmieten von 40 Dollar pro Quadratmeter sind sie hoffnungslos überbucht.

Das ist die eine Seite von Georgien. Auf die andere Seite weist Präsident Saakaschwili hin, wenn er wieder mal auf Promotion-Tour für sein Land unterwegs ist: Georgien sei marktwirtschaftlich orientiert, extrem fortschrittlich und biete sich westlichen Investoren zudem als chancenreiches Land dar. Auf einer dieser Reisen im Februar 2004 - sie führte in die USA - konnte er sogar Ron Waldmann begeistern. Kurze Zeit später war der schweizerisch-amerikanische Investor Eigentümer einer 430.000 Quadratmeter großen Liegenschaft im angehenden Botschaftsviertel der Stadt.

Mit dem einstigen Naherholungsort hoch über der Stadt ist es schon bald vorbei. Demnächst werden hier die ersten Bagger auffahren und mit der Umsetzung des neuen Masterplanes beginnen: Die Villen, Reihen- und Apartmenthäuser, nicht zuletzt die Handels- und Büroflächen werden es insgesamt auf 500.000 Quadratmeter Nutzfläche bringen. Auch die Österreicher mischen mit. Werner Albeseder von Prime Corporate Finance Consulting wurde exklusiv mit der Suche nach Investoren und Partnern beauftragt.

Erste Firmen kommen

Im Einklang mit diesem ersten spektakulären Immobilienprojekt beginnt die Wirtschaft allmählich auf Touren zu kommen. Nach und nach richten die Global Players in Tiflis ihre Kaukasus-Zentralen ein. Philips und Siemens beispielsweise sind schon da, viele andere Multis arbeiten bereits an einem Markteinstieg. Einige internationale Berater wie etwa PWC oder Deloitte Touche haben ihre Zelte auch schon aufgebaut.

Mittlerweile bahnt sich in der georgischen Immobilienbranche eine Art Goldgräberstimmung an. Aufgrund der absehbaren Büroflächenengpässe und der starken Nachfrage startet sogar die Hyatt-Hotelgruppe, ein 60.000 Quadratmeter umfassendes Büroprojekt auf die Beine zu stellen. Die Fertigstellung ist für Ende 2009 vorgesehen. Die angepeilte Miete: jenseits von 30 Dollar pro Quadratmeter.

"Wir haben die Steuern gesenkt und stärken den Bankensektor, außerdem haben wir null Korruption und bieten maximale Rechtssicherheit", gibt sich Wirtschaftsminister George Arwelatse im Gespräch mit den Standard stolz. Auch der Wohnbau boomt. Zehntausend Wohnungen sind in Tiflis derzeit in Bau: einige davon auf annähernd westlichem Niveau. Gut für Tata Kashridze - schon bald könnte ein Candlelight-Dinner mehr als nur ein unangenehmer Nebeneffekt sein. (Gerhard Rodler aus Tiflis, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8.7.2007)